Entwicklungen für mehr Effizienz beim Umformen sind ein wesentliches Forschungsfeld am Institut für Fertigungstechnik der TU Dresden. Auf der Suche nach dem dafür passenden technischen Equipment wurden die Wissenschaftler um Prof. Alexander Brosius u. a. bei der H&T ProduktionsTechnologie GmbH (HTPT) Crimmitschau fündig.
Seit Dezember 2020 vervollständigt eine Servospindelpresse mit 2.300 kN Presskraft die Versuchsfeldtechnik des Instituts. Der Wunschzettel für die Spezifizierung der Maschine war lang. „Im Prinzip haben wir nach der sprichwörtlichen ‚eierlegenden Wollmilchsau‘ gesucht, nach einer Anlage mit großem Arbeitsvermögen, mit der wir verschiedene neue Vorgehensweisen beim Umformen erproben und vervollkommnen können. Gemeinsam mit den Fachleuten von HTPT sind wir dem gewünschten Ideal ein gutes Stück nahegekommen“, sagt Prof. Brosius. Für das Team der von ihm geleiteten Professur für Formgebende Fertigungsverfahren waren vor allem Kriterien wichtig, die sich auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen. Es sollte eine Presse sein, mit der einerseits viel Kraft kontinuierlich über einen langen Weg aufgebracht wird und mit der beispielsweise schwer umformbare Werkstoffe zu bändigen sind. Andererseits war gefordert, kleine Kräfte sehr feinfühlig zu dosieren sowie generell Positioniergenauigkeiten im Hundertstel-Millimeter-Bereich zu erreichen.
Konzept der Servospindelpresse überzeugt
Überzeugt hat die Wissenschaftler letztendlich das Konzept der Spindelpresse mit Servoantrieb. Hochpräzise Servoachsen, eine innovative Sensorik und Regeltechnik und ein aus nur wenigen mechanischen Teilen bestehender Antrieb sorgen für eine der genauesten und dynamischsten Pressen, die auf dem Markt verfügbar ist. HTPT, ein Unternehmen der Heitkamp & Thumann Group, gehört zu den Vorreitern bei der Technologieentwicklung und bringt diese Anlagen seit rund 15 Jahren erfolgreich international zum Einsatz – genau ausgelegt auf die Anforderungen der Kunden in verschiedenen Industriebranchen. Für die Dresdner Forschungsanlage hat das Unternehmen zusätzliche Flexibilität und Funktionalität mit einem hydraulischen Ziehkissen integriert.
Tiefziehen ohne Schmierstoffe
Das Team um Prof. Brosius nutzt die Presse beispielsweise, um die Entwicklung zum schmierstofffreien Umformen weiter voranzutreiben. Makro- und mikrostrukturierte Werkzeuge heißt hierfür ein wichtiger Baustein. „Wir bringen nach ausgeklügelten Berechnungsmodellen Strukturen ins Werkzeug ein wie umlaufende Rillen und verkleinern so die Kontaktflächen zwischen dem umzuformenden Blech und dem Werkzeug. Das reduziert die Reibkraft und damit den Bedarf an Schmierstoffen. Die hohe Präzision der Presse ist ein wichtiges Glied im Gesamtprozess“, betont Prof. Brosius. Die Wissenschaftler haben bereits nachgewiesen, dass ein schmierstofffreies Tiefziehen möglich ist. „Interessenten aus der Industrie können sich bei uns gern davon überzeugen“, lädt der Professor, der seine berufliche Laufbahn mit einer Werkzeugmacher-Lehre begann, potenzielle Anwender ein.
Auch für die Fertigung komplexer Hybridbauteile aus Metall und faserverstärktem Kunststoff bringt die Professur ihre Expertise ein. Mittels simulationsgestützter Prozessanalyse werden die Verfahrensgrenzen für den kombinierten Textil-Blech-Umformvorgang ausgelotet. Für deren Erweiterung ist eine Umformmaschine, die sowohl große als auch kleine Kräfte in einem Prozess präzise handhaben kann, von Vorteil.
Schneller sein als der Prozess
Das Zusammenspiel von Maschine, Werkzeug und Prozess weiter zu optimieren und dafür effiziente Methoden und Prozesse zu finden, steht bei jeder Forschungsaufgabe auf der Agenda. „Unser Ziel ist es, schneller zu sein als der Prozess, eine vorausschauende Regelung für dessen optimale Gestaltung zu erreichen“, betont Prof. Brosius. Die Kombination von Datenerhebung und Datenberechnung ist dafür ein Weg. Für das gleichzeitige Messen und Rechnen setzen die Forscher unter anderem auf Künstliche Neuronale Netze oder Künstliche Intelligenz, um Zusammenhänge zu finden, mit denen sich Rechenzeiten verkürzen lassen und der Technik die für eine optimale Operation notwendigen Parameter mit Zeitvorsprung mitgeteilt werden. „Für diesen Schritt in die Zukunft brauchen wir die enge Zusammenarbeit mit den Pressenherstellern, um beispielsweise auf bestimmte Informationen der Maschinensteuerung zugreifen zu können“, erklärt Prof. Brosius.
Win-Win-Situation für Forschung und Industrie
HTPT ist hierfür ebenfalls der richtige Partner. „Wir haben ein eigenes Spezialistenteam für die Programmierung im Haus, das die Regeltechnik von Anfang an entwickelt hat, sowie seit Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Erkenntnisse, Erfahrungen und neue Anforderungen aus dem praktischen Betrieb leisten hier einen wertvollen Einfluss. Bei dieser Pressenbauart muss das Werkzeug nicht mehr an den starren technischen Eigenschaften der Presse ausgerichtet werden, sondern die Maschine ist flexibel auf die Ansprüche des Werkzeuges anpassbar. Im laufenden Betrieb muss zwar momentan noch der Mensch mit seinen Erfahrungen eingreifen. In Zukunft wird jedoch die Presse auf verändernde Parameter und aktuelle Fertigungsbedingungen automatisch reagieren. Mit Prozessen, die sich mit Industrie 4.0 umschreiben lassen, wird weiterhin ein vorausschauendes Agieren möglich. Die Rückkopplungen, die wir aus der Zusammenarbeit mit Forschungspartnern wie der TU Dresden erhalten, sind dafür enorm wichtig“, beschreibt Mike Gruner, Vertrieb Press & SystemTechnology bei HTPT, die Win-Win-Situation.