Für den Volkswagen-Aufbruch ins Elektromobilitäts-Zeitalter spielt das Werk Zwickau eine wegweisende Rolle. Der Standort wird als erster im Konzern zur ausschließlichen Elektrofahrzeug-Fertigung umgebaut. Eine Herausforderung mit Chancen, aber auch Risiken, wie die Diskussionen zum Jahrestreffen des Netzwerks Automobilzulieferer Sachsen AMZ sowie zum 22. Internationalen Jahreskongress der Automobilindustrie am 23./24. Oktober 2018 in Zwickau verdeutlichten.
Elektrifizierung ist ein Muss, betonte VW-Konzern-Finanzvorstand Frank Witter in einem Pressegespräch am Rande des Kongresses. „Wir kämpfen darum, pünktlich mit den Fahrzeugen bei den Kunden zu sein.“ Das bedeutet, den Umbau bis Ende 2019 zu bewältigen und die Produktion zu starten sowie 2020 auf täglich 1500 E-Autos hochzufahren. Begonnen wird mit zwei Modellen der ID-Familie, dann folgen in kurzem Abstand vier Seat- bzw. Audi-Fahrzeuge. Die Sorge um den Absatz sei bei ihm in den vergangenen zwei Jahren deutlich zurückgegangen. Je besser er die Fahrzeuge kenne, umso überzeugter sei er von ihnen, so Witter. Auch die Prognosen zur Nachfrageentwicklung stimmten ihn zuversichtlich.
Weniger sorgenfrei zeigten sich Zulieferer und Dienstleister im Umfeld des VW-Werkes Zwickau. Zum Jahrestreffen der AMZ-Mitglieder schilderten sie dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, welche Probleme sie derzeit umtreiben. Ein akutes Thema heißt Fach- bzw. generell Arbeitskräfte. Beim Logistikdienstleister Schnellecke sichern aktuell rund 1000 Mitarbeiter in Glauchau und Zwickau die Werksversorgung von VW und montieren darüber hinaus Achsen für die MQB-Plattform. Der Umbau bei VW führt dazu, dass mit dem Auslaufen der Golf-Fertigung phasenweise rund 25 Prozent weniger Arbeitskräfte bei Schnellecke gebraucht werden. Mit dem Anlauf der E-Fahrzeug-Produktion steige der Arbeitskräftebedarf jedoch wieder um reichlich 20 Prozent, beschrieb Geschäftsführer Ralph Hoyer die schwierige Situation. Das 2019 und 2020 nicht benötigte Personal möchte das Unternehmen gern halten. Ein wirtschaftlicher Kraftakt, der zum Teil mit Kurzarbeit abgefedert werden kann. Das funktioniert jedoch nicht ohne Einbußen für die Arbeitnehmer und aufgrund der Regularien nicht durchgängig über die gesamten zwei Jahre. Ebenso besteht die Gefahr der Personalabwerbung u. a. durch neue Zulieferer. Das „Plündern“ habe schon angefangen, so Hoyer.
Schnellecke möchte die Jahre 2019 und 2020 lieber nutzen, um z. B. Achsmontierer für Logistikaufgaben zu schulen sowie generell Mitarbeiter für die Anforderungen der elektromobilen Fahrzeugfertigung zu qualifizieren. Noch offen sind hierfür jedoch die konkreten Inhalte. Ebenso erweisen sich bestehende Regularien wieder als Hemmschuh. Das Programm WeGebAU fördert geringfügig qualifizierte Beschäftigte und Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen, um sie fit zu machen für den Wandel in der Arbeitswelt. Es bietet die richtigen Ansatzpunkte auch für Schnellecke, um kurzfristig die jetzt frei werdenden Mitarbeiter zu qualifizieren und längerfristig die mit Digitalisierung und Automatisierung einher gehenden Themen in den Produktionsprozess zu bringen. Als Nicht-KMU kann der Logistikdienstleister dieses Programm jedoch gar nicht bzw. nur sehr eingeschränkt nutzen. Ebenso fehlen die Ausbildungsangebote für die neuen Berufsfelder, die mit Schlagworten wie Industrie 4.0 umschrieben werden.
Vor allem aber vermisst die Unternehmensführung, dass die sächsische Politik die Auswirkungen der aktuellen Branchentrends auf die Zulieferer und Dienstleister vor Ort wahrnimmt. „Man feiert die Entwicklung zum E-Mobilitätszentrum, sieht aber nicht, dass diese Herausforderung nur gemeinsam zu bewältigen ist. Wird diese Chance vertan und der E-Auto-Anlauf nicht gemeistert, dann sind das Werk und die Partner im Umfeld tot“, verdeutlicht Ralph Hoyer die Situation und fragt, wie Unternehmen, die wie Schnellecke die Region seit der Wende aktiv mit entwickelt haben und die das auch in Zukunft tun wollen, unterstützt werden.
Ministerpräsident Kretschmer bot an, das Problem gemeinsam mit dem Netzwerk AMZ, der IHK sowie dem Wirtschaftsministerium anzugehen und nach geeigneten Unterstützungsinstrumenten zu suchen, die kurzfristig greifen.
Das Thema Arbeitskräfte steht auch bei Zulieferern, die nicht vom VW-Werksumbau betroffen sind, ganz oben auf der Agenda. Matthias Thalheim, Geschäftsführer von Frauenthal Automotive in Elterlein, berichtete, dass von den 300 Mitarbeitern bereits rund ein Viertel aus Tschechien kommt. Weitere 80 Mitarbeiter werden dringend gebraucht, sind aber momentan nicht verfügbar. Der Hersteller von Druckluftbehältern für Nutzfahrzeuge musste aus diesem Grund bereits Aufträge ablehnen. Eine Option für ihn ist die Einstellung von Flüchtlingen. Hier gebe es seitens der Behörden jedoch hohe Hürden, u. a. fehlen oft konkrete Aussagen zum Verbleib der Menschen, so Thalheim.
Neben Personal sowie Verkehrsinfrastruktur und Breitbandausbau beschäftigen die Zulieferer und Dienstleister Themen, die unmittelbar ihre Innovationsbestrebungen betreffen. Seit zwei Jahren kämpft z. B. das Engineering-Unternehmen FES aus Zwickau um die Eröffnung einer Wasserstoff-Tankstelle. Auch hier sind bürokratische Hürden der Hinderungsgrund. Der Entwicklungspartner für die individuelle Mobilität der Zukunft arbeitet u. a. an der Auslegung innovativer Antriebssysteme wie E-Mobilität und Brennstoffzelle. „Wir vermissen bei Einrichtungen zur Technologieförderung das Verständnis für die Arbeit eines Entwicklungsdienstleisters“, gab FES-Geschäftsführer Frank Weidenmüller dem sächsischen Ministerpräsidenten mit auf den Weg.
Auch ein übergreifendes gesellschaftliches Thema sprachen die AMZ-Mitglieder an. Thomas Klatte, Vertriebsleiter des Qualitätsdienstleisters Support Q aus Görlitz, verwies auf die Notwendigkeit, Sachsen als weltoffenen Standort darzustellen und die Wahrnehmung nach außen zu verbessern.
Der von AMZ angeschobene direkte Dialog zwischen Automobilzulieferern und der Landespolitik soll keine Eintagsfliege bleiben. Das Netzwerk bündelt die angesprochenen Herausforderungen, bringt sie konkret auf den Tisch, um mit den jeweils politisch Verantwortlichen zügig an der Umsetzung zu arbeiten. In diesem Wunsch waren sich der Ministerpräsident und die AMZ-Mitglieder einig.