Jan Kammerl, Geschäftsbereichsleiter Wirtschaftsservice der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH, erläutert in diesem Gastbeitrag, warum Nachteile mitunter zum Vorteil gereichen.
Spätestens als im März 2019 bekannt gegeben wurde, dass drei der insgesamt 20 geförderten WIR!-Projekte im Erzgebirge beheimatet sind, ist klar, dass die Mittelgebirgsregion mit 15.500 Unternehmen Potentiale – abseits der Weihnachtsromantik – in sich birgt. WIR! steht für „Wandel durch Innovation in der Region“ und ist das erste Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der neuartigen Förderung „Innovation und Strukturwandel“. Der Auf- und Ausbau von Forschungskooperationen zwischen Hochschulen, Instituten mit kleineren Unternehmen soll dabei intensiviert werden. Doch wie gelingt das Zusammenspiel zwischen kleineren Unternehmen in der Peripherie und städtischen Forschungsstandorten?
Aus Sicht der Wirtschaftsförderung einer dicht besiedelten Industrieregion im ländlichen Raum braucht es Netzwerker und Initiatoren, die sich am Standort auskennen und wissen, an welchen interdisziplinären Arbeitsaufgaben und Produktlösungen ansässige Unternehmen arbeiten, um daraus Ansätze für neue Innovationsfelder zu abstrahieren. Die Vernetzung mit Hochschulen und Instituten erfolgt im Erzgebirge durch Transfernetzwerke der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH sehr strategisch, da hier über Jahre Know-how und viele Kontakte aufgebaut wurden. Beispielsweise mit dem Projekt Saxony5, einem Verbund der fünf sächsischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaft, bei dem die Wirtschaftsförderung als Bindeglied zum erzgebirgischen und sächsischen Mittelstand agiert.
Vielfalt als Chance
Die Besonderheiten des Wirtschaftsstandortes Erzgebirge liegen in dessen Kleingliedrigkeit, in der Branchenheterogenität und gleichsam in der handwerklichen Präzision. Doch entgegen vieler Klischees ist das Erzgebirge eine ausgesprochene Industrieregion, die von kleinen inhabergeführten Unternehmen geprägt ist. Hinter den klassischen Strukturen verbergen sich jedoch Synergiepotentiale, die im Detailwissen und dem Fertigungs-Know-how der erzgebirgischen Unternehmen und in deren industriellen Anwendungen liegen. Eben diese gilt es mit neuen Technologien zu verknüpfen und eine gemeinsame Innovationskultur als Region aufzubauen. Genau deshalb ist das WIR!-Programm für den Standort von großer Bedeutung, da es Chancen für die intensivere Zusammenarbeit auf allen Ebenen bereithält. Als regionale Wirtschaftsförderung suchen wir deshalb immer wieder Impulse und Anregungen von außen, die für die einheimischen Unternehmen und deren Kompetenzen Entwicklungsansätze bieten.
Kooperation als regionale Wirtschaftsstrategie
Werkstoffspezialisten und Elektronikhersteller sitzen im Erzgebirge in unmittelbarer Nähe zu international gefragten Automobilzulieferern und Maschinenbauern. Untereinander kennen sich, die spezialisierten Firmen, nur selten. Dies anzuerkennen und mit Standortwissen erfolgreich zu koordinieren ist das Ziel einer kooperativen regionalen Wirtschaftsstrategie, um eine Innovationskultur in der Region aufzubauen. Unsere Erfahrung zeigt, dass kleine Unternehmen in der Region schnell und flexibel in der Zusammenarbeit mit Forschungspartnern agieren und Input dankbar aufgreifen, wie es u.a. das Sächsische Innovationscluster für Brennstoffzellen und Wasserstoff HZwo aktuell eindrucksvoll belegt.
Unter all diesen Voraussetzungen ist es im Wirtschaftsstandort Erzgebirge gelungen drei Ideen zu tragfähigen WIR!-Vorhaben auszubauen: vom Forschungscampus für autonomes Zugfahren (Smart Rail Connectivity-Campus), über die nachhaltige Erschließung und Wiederaufbereitung disperser Rohstoffquellen (recomine), bis hin zum Netzwerk für digital, funktionalisierbare Faserverbundbauteile (Smart composites ERZgebirge) – werden Potentiale für Wertschöpfung im Erzgebirge durch die WIR!-Projekte neu gedacht.
Leben und Arbeiten kommen in der Region zusammen
Innovation hat in der Montanregion Erzgebirge Tradition und das wird verstärkt Fachkräften bewusst, die in die Region zurückkehren oder neu hinzukommen, um das als Chance für einen Neustart zu nutzen. Die Natur bietet einen kreativen und aktivierenden Rückzugort, der eine wichtige Ressource für neue Ideen bildet. Vielfältige Lebensentwürfe kommen hier zunehmend mit anspruchsvollen beruflichen Herausforderungen zusammen, wodurch die Entscheidung für den ländlichen Raum zur bewussten Entscheidung wird.