Am 14. Juli 2021 hat die EU-Kommission im Rahmen des „Green Deal“ unter dem Titel „Fit for 55“ einen Programmentwurf vorgestellt, der in der EU bis 2030 generell eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 vorsieht. Auf die Automobilindustrie kommen dabei weitreichende Konsequenzen zu, prognostiziert Prof. Dr. Werner Olle vom Chemnitz Automotive Institute (CATI).
Das Reduzierungsziel „55“ hat für die Hersteller von Pkw eine besondere Tragweite. Denn hier sollen in einem ersten Schritt die CO2-Emissionen von Neuwagen bis 2030 ebenfalls um 55 Prozent verringert werden, allerdings gegenüber dem Stand von 2021 (bislang minus 37,5 Prozent). Diese Maßgabe ergibt sich daraus, dass der Verkehrssektor der einzige Sektor ist, der heute mehr Emissionen erzeugt als im Referenzjahr 1990.
„Fit for Zero“ in der Automobilindustrie
Gänzlich neu ist zudem eine geplante Vorgabe, die zur Erreichung übergreifender Klimaziele erstmals über den Zeithorizont bis 2030 hinausreicht. Und diese läuft für die Automobilhersteller auf „Fit for Zero“ hinaus. Denn die OEM sind gefordert, bereits ab 2035 die CO2-Emissionen von Neuwagen auf Null zu bringen. Dies ist zwar formell kein Verbot von Verbrennern, doch dürften diese Flottenziele selbst mit optimierten Plug-in-Hybriden nur schwerlich zu erreichen sein.
Da letztlich regulative Vorgaben für Neuwagen zur Erreichung von Klimazielen nicht ausreichen, wird zusätzlich auch eine CO2-Bepreisung für den Straßenverkehr vorbereitet, um durch einen schnelleren Umstieg auch die Emissionen des Fahrzeugbestands zu senken.
Stand heute … und der weite Weg zum Ziel
Zur Erreichung der CO2-Zielwerte 2030 ist bei den Neuzulassungen in Europa ein Anteil der voll- und teilelektrischen Fahrzeuge von ca. 65 Prozent erforderlich (BEV, FCEV, PHEV). Die im Rahmen des CATI-E-Mobility Dashboard fortlaufend recherchierten Daten zur Markt- und Produktionsentwicklung von Elektroautos in Europa lassen für 2021 folgendes erwarten:
- in Europa: eine Neuzulassung von vollelektrischen Batteriefahrzeugen (BEV) von mindestens einer Million Fahrzeuge (und zusätzlich ein identisches Volumen an Plug-in-Hybriden PHEV). Dies entspricht einem Anteil an den Neufahrzeugen von je acht bis neun Prozent.
- in Deutschland: Neuzulassungen von insgesamt mindestens 700.000 E-Autos (1. Halbjahr 312.000) und einen Marktanteil BEV/PHEV von insgesamt 25 Prozent (1. Halbjahr 22,5 Prozent) bei leichtem Übergewicht des Plug-in-Hybrid-Anteils
- Die prognostizierten Produktionsvolumina an BEV 2021 (in Europa eine Million, in Deutschland 420.000, in Sachsen 280.000 Fahrzeuge) werden durch CATI grundsätzlich bestätigt. Durch die auch im 2. Halbjahr noch fortdauernde Chip-Krise sind jedoch Minderausbringungsrisiken nicht auszuschließen.
Automobilhersteller arbeiten weiter an ihren Strategien und Zielen
Die Automobilhersteller haben die öffentliche Ankündigung der künftig zu erwartenden CO2-Limits genutzt, um ihre Strategien und Ziele zu bestätigen, erneut anzupassen oder auch gründlich zu überholen. Die Strategietitel lauten: Accelerate (Marke VW), Reimagine (Jaguar Landrover), Electric only (Mercedes-Benz) und New Auto (VW-Konzern).
Beispiele der neuen Zielsetzungen der OEM (mit Datum der Ankündigung) sind:
- Jaguar/Landrover (15. Februar): Marke Jaguar ab 2030 100 Prozent BEV, Marke Landrover ab 2030 60 Prozent BEV
- Ford (26. Mai): ab 2030 in Europa 100 Prozent BEV, weltweit 40 Prozent
- Renault (30. Juni): ab 2030 Anteil BEV 90 Prozent, bis 2025 Anteil BEV/PHEV 65 Prozent
- Volvo Cars (30. Juni): ab 2030 100 Prozent BEV
- Stellantis (08. Juli): ab 2030 Anteil BEV/PHEV 70 Prozent, Marke Opel ab 2028 rein elektrisch
- VW-Konzern (12. Juli): ab 2030 50 Prozent BEV weltweit – Konzernmarken: Marke VW ab 2030 70 Prozent BEV in Europa/Marke Audi ab 2026 sogar 100 Prozent BEV
- Mercedes-Benz (22. Juli): ab 2025 alle neuen Fahrzeugarchitekturen vollelektrisch, ab 2030 100 Prozent BEV
- BMW (12. August): bis 2025 weltweit ein Drittel BEV/PHEV, ab 2030 50 Prozent.
Brennstoffzellenfahrzeuge spielen mit Ausnahme von prototypen Technologieträgern und Kleinserien in den Planungen dieser Hersteller nur eine zu vernachlässigende Rolle. Passend zu den ca. 800 FCEV, die 2020 insgesamt im Pkw-Bereich in Europa (EU/UK) neu zugelassen wurden. Dieser Trend setzt sich auch 2021 fort: mit 340 FCEV zwischen Januar und Mai.
Technologieoffenheit ohne Chance
„Das regulativ vorgegebene Tempo zur Schubumkehr in Richtung Elektromobilität beendet – trotz aller anderslautender Bekenntnisse – damit auch definitiv die Chancen für eine Technologieoffenheit. Einziges Risiko bleibt der Kunde, der letztlich nur durch attraktive Produkt- und Nutzungsangebote zu überzeugen ist“, so das Fazit von Prof. Dr. Werner Olle.
Nächste CATI-Workshops für Automobilzulieferer mit Details zu Produkt-, Kapazitäts-, Volumen- und Standortplanungen der OEM finden am 7. und 8. September im Business Village Chemnitz statt.
Anmeldung erforderlich unter www.amz-sachsen.de/veranstaltung