Die wirtschaftspolitischen Entscheidungen in Brüssel und Berlin mehren die Sorgen vor einer Deindustrialisierung Deutschlands. Automobilzulieferer fragen sich, ob und wie sie aus dem gewollten Umbau der Industrie in Richtung Nachhaltigkeit neue Chancen generieren können. Oder schwächt dieser Kurs deren Wettbewerbsfähigkeit gar nachhaltig? Über tragfähige Wege zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland diskutierten die Teilnehmer des 1. Lößnitzer Dialoges am 23. Juni 2023. Eingeladen dazu hatte die Bundesfachkommission Automobilwirtschaft des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA). Gastgeber war die GL Gießerei Lößnitz GmbH.
In der Gießerei beginnt die physische Produktion jedes Autos. Hier entstehen die Formen für die Presswerkzeuge, mit denen die Fertigung der Karosserieteile erfolgt. Auch zahlreiche batterieelektrische Modelle, u. a. von Porsche, BMW und dem E-Auto-Pionier Tesla, hatten bereits im erzgebirgischen Lößnitz ihren Startpunkt. Weitere folgen. Für die gewollte saubere Mobilität ist also die mit Staub, Lärm, harter Arbeit und vor allem mit hohem Energieverbrauch verbundene Schwerindustrie unabdingbar.
Wirtschaftsweise findet vergünstigten Stromtarif „heikel“
Die Frage ist: Will die Politik diese Industrie in Deutschland halten oder vergrämen? Geht es nach Prof. Monika Schnitzer, ihres Zeichens Vorsitzende des Wirtschaftsweisen-Gremiums, das die Bundesregierung berät, dann müsse die Grundstoffindustrie nicht um jeden Preis erhalten werden. Wenn besonders energieintensive Unternehmen ins Ausland gingen, würde das die Wertschöpfung in Deutschland nicht entscheidend mindern. Auch den von Wirtschaftsminister Habeck geplanten vergünstigten Stromtarif für die Industrie findet sie „heikel“.
Gießerei stellt sich der Transformation
Solche Denkweisen stoßen auf viel Befremden in der Industrie. Denn wenn deren Basis aus Deutschland vertrieben wird, dann verschwinden nach und nach weitere Wertschöpfungsstufen. Für Max Jankowsky, den 30 Jahre jungen Geschäftsführer der Gießerei Lößnitz, ist das der falsche Weg. Er leitet gemeinsam mit Jörg Kattermann ein Unternehmen, das seit Gründung vor fast 175 Jahren unzählige Kriege und Krisen überlebt und sich immer wieder neu aufgestellt hat. Der Gießerei-Chef will mit dem 85 Mitarbeiter zählenden Team den Wandel hin zu einer klimabewussten Arbeits- und Lebensweise mitgestalten – und hat dafür u. a. mit einer modernen Filteranlage, mit Unterstützung des heimischen Imkerwesens sowie weiteren Umwelt- und Klimaschutzprojekten viel getan. Jetzt steht ein nächstes Großvorhaben an. „Wir projektieren eine Elektrifizierung des Schmelzbetriebes und planen diese in den nächsten Jahren zu realisieren“, berichtet er. Dann werde aufgrund der steigenden CO2-Abgaben der Peak am Standort erwartet, der das Gießen auf Koks-Basis endgültig unrentabel mache.
Szenarien für einen Standorterhalt
Das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund 22 Millionen Euro und einer in der Branche üblichen Marge im unteren einstelligen Prozentbereich plant eine zirka sieben Millionen Euro umfassende Investition, deren Ausgang jedoch bei weitem nicht feststeht. „Wir brauchen für das Gelingen dieses Vorhabens entsprechende Rahmenbedingungen und diese nicht erst in ein oder zwei Jahren, sondern jetzt. Das gilt insbesondere für den Strompreis, denn davon hängt wiederum die Finanzierung durch die Banken ab“, verweist er auf eine von mehreren Hürden. Der Gießerei-Manager hat drei Szenarien durchgerechnet. Der beste Fall wäre ein Preis von vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde, der schlimmste ein Arbeitspreis von mehr als zehn Cent. Am realistischsten seien die auch vom deutschen Wirtschaftsminister favorisierten sechs bis sieben Cent für den angestrebten Transformationsprozess.
Die Hürde Netzinfrastruktur
Eine weitere Hürde ist die Netzkapazität. Aktuell braucht die Gießerei eine Leistung von drei Megawatt und hat damit die Grenze des zurzeit infrastrukturell Machbaren fast erreicht. Für den Elektrobetrieb sind jedoch weitere neun Megawatt notwendig. Dafür ist der Netzbetreiber gefragt. Wenn die für das Vorhaben notwendigen Partner nicht mit dem notwendigen Tempo mitziehen, dann ist die Gefahr groß, dass der Ofen in der Gießerei Lößnitz im wahrsten Sinne des Wortes ausgeht. Ohnehin gibt es in Deutschland nur noch wenige Gießereien mit dem Portfolio wie die Erzgebirger. Anfang der 1990er Jahre waren es noch sechs deutsche Mitbewerber im Marktsegment, jetzt sind die Lößnitzer fast allein. „Wir verlieren jedes Jahr eine Gießerei in Deutschland das ist alarmierend. Die Grundstoff- und Schwerindustrie bildet das Fundament unserer deutschen Wirtschaft, das Fundament ist nun in großer Gefahr!“, so Max Jankowsky.
Zur Kultur der Möglichkeiten kommen
Nicht zuletzt, um den Interessen der Industrie wieder nachdrückliches Gehör in Politik und Öffentlichkeit zu verschaffen, hat der BWA die Bundesfachkommission Automobilwirtschaft gebildet. „Wir wollen mehr Sachverstand in die Debatte bringen. Wir brauchen Akteure mit Anbindung an die Praxis und keine Konzepte, die eine Verbesserung der Welt in der Theorie planen“, betont BWA-Bundesgeschäftsführer Urs Unkauf. Nicht nur wahr-, sondern ernstgenommen zu werden, eine Bereitschaft zu echtem Dialog sowie eine Kultur der Möglichkeiten und nicht der Regulierungen sind Forderungen der Automobilzulieferer an die Politik. Die Anwesenden hätten die auf den Nägeln brennenden Themen gern auch mit den in der Region beheimateten Abgeordneten aus Bundes- und Landesparlament diskutiert. Von den Eingeladenen ist jedoch niemand erschienen.