Experten für den Automotive-Wertschöpfungsfaktor Nr. 1

Intenta-Mitgründer und Bereichsleiter Automotive Dr. Heiko Cramer an einem der Fahrzeuge, mit denen das Chemnitzer Unternehmen europaweit Daten für die Entwicklung automatisierter Fahrfunktionen sammelt.
Intenta-Mitgründer und Bereichsleiter Automotive Dr. Heiko Cramer an einem der Fahrzeuge, mit denen das Chemnitzer Unternehmen europaweit Daten für die Entwicklung automatisierter Fahrfunktionen sammelt. (Foto: Frank Reichel)
12.08.2019 | Redaktion Autoland

Software ist zum Wertschöpfungsfaktor Nr. 1 in der Automobilindustrie geworden. Die Wirtschaft in Chemnitz hat in diesem Bereich viel zu bieten, vor allem, wenn es um Entwicklungen für das automatisierte Fahren geht. Von dieser Innovationskraft überzeugte sich der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig, als er Anfang August 2019 einige Firmen des Unternehmensbündnisses CADA (Chemnitz Automated Driving Alliance) besuchte.

Erste Station war die Intenta GmbH. Das 2011 aus der TU Chemnitz ausgegründete Unternehmen ist schnell auf rund 180 Mitarbeiter gewachsen. Neben eigenen Sensorprodukten zur automatisierten Erkennung von Personen und Objekten bildet die Softwareentwicklung für die Automobilindustrie ein Hauptgeschäftsfeld. Intenta-Softwarekomponenten für Fahrerassistenzsysteme und Navigation befinden sich bereits in Serienanwendungen bei Fahrzeugen des VW-Konzerns. „Das ist für ein Unternehmen unserer Größe eher selten“, betont Dr. Heiko Cramer, Bereichsleiter Automotive. Das Thema automatisiertes Fahren treibt das Geschäft. Intenta-Ingenieure haben mit speziell ausgestatteten Fahrzeugen auf mehreren hunderttausend Kilometern im europäischen Straßennetz Daten gesammelt, auf deren Basis automatisierte Fahrfunktionen generiert werden. Einsätze auf anderen Kontinenten werden aktuell vorbereitet. Diese Testfahrten sind notwendig, um das korrekte Funktionieren dieser Systeme sicherzustellen. Jedoch steigen der notwendige Umfang und Aufwand mit zunehmender Komplexität der Automatisierung. Daher werden die realen Fahrten um virtuelle Simulationen erweitert, in denen kritische Ergebnisse beliebig oft und reproduzierbar erzeugt werden können. Intenta arbeitet dafür mit der TU Chemnitz im Forschungsprojekt VIVARE zusammen. Der Begriff steht für die virtuelle Absicherung des hochautomatisierten Fahrens durch variierte Realität. Mit Verfahren des maschinellen Lernens wollen die Partner aus realen Testfahrten die charakteristischen Eigenschaften der Fahrzeugsensoren lernen, um realistische Modelle für Simulationen zu erzeugen. Aus diesen Modellen können dann wiederum neue Testfahrten („variierte Realität“) erzeugt werden, die besser mit den Charakteristiken echter Testfahrten übereinstimmen.

Intenta und die anderen Akteure im CADA-Bündnis haben weitere Wachstumsprojekte im Blick. „Der VW-Konzern hat entschieden, das automatisierte Fahren selbst zu entwickeln und nicht an einen First-Tier auszulagern. Im Zusammenspiel mit den weiteren CADA-Firmen sehen wir hier gute Chancen, uns einzubringen“, sagt Dr. Cramer.

Erste Szenarien für Autobahn und Parkhaus

Der noch hohe Entwicklungsaufwand resultiere laut dem Intenta-Manager vor allem aus den Themen Sicherheit und Kosten. „Die Software muss so sicher sein, damit der Rechteübergang vom Fahrer auf die Maschine möglich wird. Ebenso ist noch viel Arbeit zu leisten, um die Qualität der Systeme zu akzeptablen Preisen zu erreichen. Heutige autonom fahrende Autos sind mit sehr teuren Sensoren unterwegs“, erklärt Dr. Cramer. Erste Szenarien für das automatisierte Fahren werden in ca. fünf Jahren auf der Autobahn möglich sein. Intenta arbeitet u. a. an einem Staupiloten. Auch das automatisierte Parken lässt sich zuerst mit umsetzen, am besten in einem vollautomatisch funktionierenden Parkhaus, in dem der Mensch außen vor bleibt. Stadtszenarien sind ungleich komplizierter. Hier gibt es noch viel zu tun.

Präsentation eines Fahrerlosen Transportsystems bei FusionSystems.
Präsentation eines Fahrerlosen Transportsystems für intralogistische Aufgaben bei FusionSystems. (Foto: Frank Reichel)

Vom fahrerlosen Intralogistik-System auf die Straße

Diese Einschätzungen teilen auch die CADA-Partner FusionSystems und Naventik, wie Intenta Ausgründungen aus der Professur Nachrichtentechnik der TU Chemnitz. Die FusionSystems GmbH war 2005 die erste Firma, die sich mit den Kompetenzen in der Sensordatenfusion selbstständig gemacht hat und daraus Produkte und Leistungen für Automotive, Karten und Navigation, Automation sowie Smart Systems entwickelt, letztere u. a. für neue Therapieansätze mittels Motiontracking. „Automotive ist zwar unser größter Umsatzbereich, aber wir sind darüber hinaus noch auf anderen Wirtschaftsgebieten tätig und somit nicht abhängig von nur einer Branche“, informiert Geschäftsführer Dr. Ullrich Scheunert. Mit Fahrerlosen Transportsystemen (FTS) bietet das aktuell rund 70 Mitarbeiter zählende Unternehmen bereits intralogistische Lösungen für das automatisierte Fahren an, die in der Industrie, aber auch in Kliniken zum Einsatz kommen. Am Beispiel ihres Sensorfahrzeugs demonstrieren die FusionSystems-Ingenieure ihre Leistungen in der 360-Grad-Umfelderkennung, um die Fahrzeugumgebung komplett zu erfassen, sowie in der Fahrzeuginnenraumüberwachung. Letztere Auswertungen werden genutzt, um das Verhalten des Fahrers im manuellen und automatisierten Fahrmodus zu unterstützen und vorausschauend vor kritischen Situationen wie Ermüdungserscheinungen zu warnen. Die Informationen dazu resultieren aus dem Zusammenspiel von Kamerasystemen und haptischen Sensoren im Innenraum.

Zusammenspiel ist FusionSystems auch auf anderer Ebene wichtig. „Wir schöpfen einen Großteil unseres Selbstverständnisses aus Vernetzung“, betont der Geschäftsführer. Dazu gehören die Mitarbeit in Technologie- und Forschungsprojekten, die Unterstützung regionaler Vorhaben wie die Chemnitzer Kulturhauptstadtbewerbung und nicht zuletzt die CADA-Aktivitäten.

Beim Start-up Naventik, das sich auf die satellitengestützte Fahrzeugortung spezialisiert hat, wird zwischendurch auch mal Musik gemacht.
Beim Start-up Naventik, das sich auf die satellitengestützte Fahrzeugortung spezialisiert hat, wird zwischendurch auch mal Musik gemacht. (Foto: Frank Reichel)

Mit Satellitennavigation Fahrzeuge zentimetergenau orten

Die jüngste Firma im Experten-Verbund für das automatisierte Fahren in Chemnitz ist die 2017 gegründete Naventik GmbH mit aktuell 15 Mitarbeitern. Sie bedient das Feld mit einer neuen Technologie zur präziseren Lokalisierung von Fahrzeugen. „Ausgangspunkt war, dass gängige Systeme für den automobilen Massenmarkt insbesondere in den Städten wegen der dichten Bebauung nicht genau genug sind“, erzählt Peter Kalinowski, einer der Gründer und Geschäftsführer. So ist die Idee zur Pathfinder-Technologie entstanden – eine Software, mit der sich Fahrzeuge im Zusammenspiel mit Satelliten sowie anderen Sensorsystemen „zentimetergenau orten lassen“, so Kalinowski. Mit zwei Millionen Euro unterstützen die Berliner GPS Ventures GmbH und der Technologiegründerfonds Sachsen den weiteren Unternehmensausbau.

Deutsche Verwaltungsprozesse „entkomplizieren“

Geld für solche Technologieinnovationen sei generell notwendig, um mit den USA und China mitzuhalten. „Wir haben die Elektromobilität verpennt, das darf beim automatisierten Fahren nicht passieren“, appellierte Peter Kalinowski auch in Richtung Politik. Naventik ist u. a. in China und in den USA aktiv und hat z. B. vom Bundesstaat Michigan unkompliziert eine finanzielle Unterstützung erhalten, vereinfacht gesagt, per Mausklick. Bei der SAB in Sachsen halte man sich dagegen daran auf, ob Stundenzettel richtig ausgefüllt seien. Die „Big Pictures“ sehen, Prozesse seitens der Verwaltungen nicht zu verkomplizieren, auch bei der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, darauf komme es an, wenn man im globalen Wettbewerb vorn sein wolle, gab Kalinowski dem sächsischen Wirtschaftsminister mit auf den Weg.

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