Nachhaltiges Wirtschaften wird zur Pflicht. Davon hängt ab, wie gut Industrie und Gesellschaft den Transformationsprozess bei Mobilität und Energie bewältigen. Kritische Lieferstrukturen, explodierende Preise sowie die Notwendigkeit zur Digitalisierung fordern die Unternehmen außerdem heraus. Vor diesem Hintergrund diskutierten die Teilnehmer des von der SAENA veranstalteten 3. Industriedialogs Neue Mobilität Sachsen über nachhaltige Produktion, Fahrzeuge und Dienstleistungen.
Für reichlich Diskussionsstoff sorgte Jörg Heynkes mit seiner Keynote zur „Zukunft Automobil 4.1“. Der Unternehmer und Autor, der sich u. a. mit seiner Beteiligungsgesellschaft Utopia Invest für Innovationen engagiert und für Wandel statt Wachstum plädiert, konfrontierte das Publikum im Chemnitzer Veranstaltungszentrum Kraftverkehr mit einem Bild vom 26. Dezember 2004: Darauf sind Menschen zu sehen, die am Strand stehen und auf ein bewegtes Meer schauen. Traurige Wahrscheinlichkeit ist, dass sie wenige Minuten später nicht mehr leben. Hinweggefegt von einem Tsunami, dessen Wucht sie so nicht kommen sahen. Das Foto stehe sinnbildlich für die Situation der Menschheit. Seit 30, 40 Jahren passieren Klimawandel und Digitalisierung – unabhängig davon, ob wir wollen oder nicht. Dieser Welle könne man sich nicht entziehen. Die Frage ist, ob man von ihr verschlungen wird oder sich darauf vorbereitet hat, sie zu reiten.
Mit Blick auf übermorgen heute Entscheidungen treffen
„Wir brauchen den Blick auf die Welt von übermorgen, wenn wir heute Entscheidungen treffen“, appellierte er an die Zuhörer und forderte mehr Mut zu weit vorausschauenden Lösungen. Die gute Nachricht sei, so Heynkes, dass sich die Menschheit mit technologischen Innovationen immer weiterentwickelt hat. Die weniger gute Nachricht ist, dass es jetzt den Willen zu enormer Veränderungsbereitschaft braucht, um den Klimawandel zu stoppen. Ein „Weiter so“ wäre fatal. Die Welt können nur digital gerettet werden oder gar nicht, ist er überzeugt. Künstliche Intelligenz und humanoide Roboter sind für ihn das Zentrum der vierten industriellen Revolution. Block-Chain-Technologie ermöglicht sichere Lösungen für den Wandel vom Besitzen zum Teilen. Dann braucht es auch keine Fahrzeugeigentümer mehr. Mit elektrifizierten und autonom fahrenden Verkehrsmitteln komme es zur Schwarmmobilität. Das führt zu mehr Verkehrssicherheit und schafft Platz, denn dann müsse nicht mehr in Parkplätze oder den Ausbau des Straßenraums investiert werden.
„Ruppige Jahre“ mit mutigem Handeln bewältigen
Die Welt-Vision von übermorgen wurde in der Diskussion auf die Lebenswirklichkeit von heute heruntergebrochen, u. a. am Beispiel von Planungs- und Bauzeiträumen im ÖPNV. Es werde nicht ausbleiben, dass man jetzt in Projekte investiere, die in zehn Jahren vielleicht keinen Sinn mehr haben. Heynkes verhehlte auch nicht, dass angesichts des zu bewältigenden Umbaus in Wirtschaft und Gesellschaft „ruppige Jahre“ auf uns zukommen. Davon dürfe man sich nicht irre machen lassen. „Lassen Sie uns jetzt unseren Job tun“, forderte er zu mutigem Handeln auf. Geld sei genug da, um alle Aufgaben zu lösen, die Welt habe ein reines Handlungsproblem, unterstrich Heynkes.
Konkrete Handlungsoptionen für Nachhaltigkeit und Vernetzung
Konkrete Handlungsoptionen für verschiedene Bereiche zeigten die weiteren Referenten auf. Prof. Jens Südekum vom Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie zeigte auf, wie KMU-Zulieferer am milliardenschweren Zukunftsfonds Automobilindustrie des Bundes teilhaben können. Rund ein Drittel des Geldes steht für den Aufbau regionaler Transformationsnetzwerke zur Verfügung. In Sachsen soll das in der Region Zwickau-Chemnitz sowie der Metropolregion Leipzig passieren. Entsprechende Projektskizzen sind bereits positiv begutachtet.
Dass Nachhaltigkeitsaspekte künftig stärker bei Kreditvergaben eine Rolle spielen, verdeutlichte Sebastian Kaden von der Sächsischen Aufbaubank. Wie Nachhaltigkeit in der Produktion erreicht werden kann, stellte Dr. Stefan Fenchel am Beispiel des BMW-Werkes Leipzig vor. Am Standort kommen u. a. wasserstoffbetankte Flurförderfahrzeuge zum Einsatz. In Zusammenarbeit mit dem Zwickauer Fahrzeugentwickler FES wurde jetzt ein erstes Fahrerloses Transportsystem mit Brennstoffzellen-System ausgerüstet.
Die Bedeutung von Vernetzung im Sinne von Kooperation unter Zulieferern, für durchgängige Wertschöpfungsketten sowie für das Produkt Fahrzeug zeigten Dr. Jens Katzek vom ACOD, Dr. Arvid Hellmich vom Fraunhofer IWU und Frank Fickel von ITS mobility auf.
Plädoyer für Wandel von Effizienz zu Resilienz
In der abschließenden Podiumsdiskussion verdeutlichten die Referenten nochmals Aspekte und Aufgaben, die sich aus der Transformation in eine nachhaltig arbeitende und lebende Gesellschaft ergeben. Angesichts der aktuellen Krisen gehört dazu der Wandel von Effizienz zu Resilienz, betonte Dr. Tilman Werner, Geschäftsführer der Sächsischen Energieagentur SAENA, der Veranstalterin des Industriedialoges. Dr. Katzek verwies auf die Bedeutung des Risikomanagements, denn das Problem Nummer 1 der Zulieferer heißt aktuell Liquidität. Neben resilienten Lieferketten werde der strategische Absatz zum Thema, plädierte Prof. Südekum dafür, übermäßige Abhängigkeiten von einzelnen Ländern bzw. Regionen zu reduzieren. Frank Fickel ermunterte Zulieferer, mehr rechts und links neben der Automobilherstellung zu schauen und Geschäft in neuen Mobilitätsangeboten zu generieren. Dr. Fenchel gab Forschern die Aufgabe mit, griffige Modelle für die Bewertbarkeit von Nachhaltigkeit zu erarbeiten.