Die Krise in Chancen umwandeln

Die Krise in Chancen umwandeln
Volles Haus zum Jahresauftakttreffen des Netzwerks AMZ am 22. Januar 2025 im Business Village Chemnitz. In der aktuellen Krisensituation ist der Austausch in der Branche für viele wichtiger denn je. Foto: Ina Reichel
27.01.2025 | Redaktion Autoland

Eine nachhaltig gesunkene Pkw-Produktion in Deutschland und Europa sowie international nachteilige Wettbewerbsbedingungen belasten nicht nur die Automobilhersteller, sondern insbesondere die Zulieferer und Dienstleister der Branche. Die Unternehmen rund um das VW-Werk Zwickau sind aufgrund der aktuellen Krise des Konzerns hiervon in außergewöhnlichem Maße betroffen. Welche Chancen gibt es vor diesem Hintergrund? Und welche Voraussetzungen sind dafür nötig? Darüber diskutierten die Mitglieder des Netzwerks Automobilzulieferer Sachsen AMZ auf ihrem Jahresauftakt-Treffen Ende Januar 2025.

Pkw-Produktion und -Absatz im Sinkflug

Pkw-Produktion und -Absatz in Europa befinden sich seit 2019 im Sinkflug. Bis 2023 brach die Nachfrage um 18,7 Prozent ein.  Die Produktion sank in diesem Zeitraum um 23,1 Prozent – mit weiterer Abwärtstendenz 2024. Analog zeigt sich die Entwicklung in Deutschland mit einer um 17,5 Prozent gesunkenen Nachfrage zwischen 2019 und 2023. Der Produktionsrückgang fällt mit minus 11,9 Prozent nicht ganz so stark aus. Diese Fakten präsentierte Prof. Dr. Werner Olle, Mitgründer des Chemnitz Automotive Institute (CATI). Er zeigte auf, dass Produktion und Absatz bis 2027 weitestgehend auf dem jetzigen Niveau verharren werden. Das führt zu deutlichen Überkapazitäten. Die CATI-Studie beleuchtet auch, weshalb das Produktions- und Absatzproblem die ostdeutsche Automobilindustrie mit dem E-Mobilitäts-Pionierwerk von VW Zwickau und den weiteren auf E-Mobilität fokussierten Herstellerwerken von BMW, Porsche und Tesla in besonderer Weise trifft. Denn der Absatz batterieelektrischer Fahrzeuge in Europa stockt. Hauptursache sind rückläufige Absatzzahlen in Deutschland.

 
Prof. Dr. Werner Olle, Mitbegründer des Chemnitz Automotive Institute CATI, vermittelte aktuelle Zahlen und Fakten aus der deutschen Autoindustrie, die bisher noch nicht vorlagen. Foto: Ina Reichel

Irgendwann ist die Transformationskasse leer

Für AMZ-Netzwerkmanager Dirk Vogel darf diese Situation nicht zur Standortgefährdung von Zwickau führen. „Das Werk und alle Partner aus dem Zuliefer- und Dienstleisterbereich haben mit dem radikalen Umbau zur E-Auto-Fabrik erneut die enormen technologischen und Umsetzungs-Kompetenzen der Region bewiesen. Diese nicht nur von Volkswagen getätigten Investitionen dürfen nicht in den Sand gesetzt werden. Das würde wieder einmal den Osten hart treffen. Die Unternehmen hier befinden sich seit Jahren in permanenter Transformation, ohne davon wirtschaftlich zu profitieren. Irgendwann ist die Kasse leer.“

Chancen im kreislauffähigen Fahrzeugrecycling

Das Netzwerk AMZ fordert deshalb ein stärkeres Engagement der Bundes- und Landespolitik für die gezielte, praktikable und verlässliche Förderung von Zukunftstechnologien, um neue industrielle Kerne in Sachsen aufzubauen. Chancen hierfür bietet der auch von VW verfolgte Ansatz, ein Zentrum für Fahrzeugrecycling zu etablieren. „Am Thema einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft in der Automobilindustrie arbeiten wir bereits seit geraumer Zeit“, erklärt AMZ-Netzwerkmanager Andreas Wächtler. „Wir unterstützen beispielsweise bei der CO2-Bilanzierung oder dem Erstellen von ESG-Nachhaltigkeitsberichten. In verschiedenen Kursen vermitteln wir Kenntnisse zur Implementierung von Kreislaufwirtschaftsprinzipien ins eigene Unternehmen. Zudem sammeln wir mit europäischen Partnern im EU-Projekt ZEvRA Erfahrungen für den Aufbau eines nachhaltigen Wertschöpfungskreislaufs bei E-Fahrzeugen vom Design bis zur Demontage. Diese Kompetenzen setzen wir ein, um gemeinsam mit VW Sachsen ein tragfähiges Konzept zu entwickeln und laden potenzielle Partner dazu ein. Es gibt hier viele Bedarfe, u. a. an innovativen Technologien sowie an Pilotanlagen für effiziente Demontageprozesse. Wir haben jetzt die Chance, Entscheidungskompetenz nach Sachsen zu holen.“

Die sächsischen Kompetenzen bei Automatisierung und Digitalisierung der Produktion sowie bei Entwicklungen im automatisierten Fahren, u. a. für Logistik und ÖPNV, sind weitere Themen, die AMZ mit seinen Mitgliedern und Partnern weiter vorantreiben und damit das Autoland Sachsen zukunftsfähig aufstellen will.

Diskussion zu den Chancen und Risiken der Automobilzulieferindustrie in Sachsen – v. l. AMZ-Netzwerkmanager Dirk Vogel, Dr. Maike Gruschwitz/Wirthwein, Christoph Zimmer-Conrad/sächsisches Wirtschaftsministerium, Mirko Taubenreuther/IAV, Mario Schäfer/Pierburg, Martin Witschaß/IHK Chemnitz, Nora Seitz/CDU-Bundestagskandidatin, Detlef Müller/SPD-Bundestagskandidat, AMZ-Netzwerkmanager Andreas Wächtler. Foto: Ina Reichel

Steigende Fertigungskosten sind nicht mehr kompensierbar

Dafür braucht es nicht zuletzt passende Rahmenbedingungen. Für die Unternehmen müssen diese vor allem verlässlich und international wettbewerbsfähig sein. „In den vergangen fünf Jahren sind die Fertigungskosten in Deutschland enorm in die Höhe geschnellt. Diese Steigerungen lassen sich nicht mehr mit Produktivitätsmaßnahmen kompensieren. Insbesondere beim Thema Lohnkosten müssen sich alle Beteiligten tief in die Augen schauen, ob man mit den aktuellen Tarifverträgen wettbewerbsfähig bleiben kann. Es hat Gründe, dass die geplanten preisgünstigeren Elektro-Pkw deutscher Hersteller nicht in Deutschland produziert werden“, sagt Mario Schäfer. Der Werkleiter von Pierburg Pump Technology in Hartha fordert weiterhin verlässliche politische Entscheidungen, damit sich Investitionen in Innovationen lohnen und deren Umsetzung mit der notwendigen Geschwindigkeit erfolgen kann.

Für Dr. Maike Gruschwitz, Leiterin des Crimmitschauer Wirthwein-Werkes, beeinträchtigen vor allem die deutschen Energiekosten die Standortattraktivität. „Wir benötigen als Kunststoffverarbeiter viel Energie, am liebsten grüne Energie. Hier muss die Politik einiges verbessern, u. a. in Richtung Stromsteuer und Netzentgelte.“

Forderungen an Bundestagskandidaten adressiert

Ihre Forderungen konnten die Diskutanten direkt vor Ort an politische Vertreter adressieren. Die Chemnitzer Bundestagskandidaten Nora Seitz (CDU) und Detlef Müller (SPD) waren der AMZ-Einladung gefolgt, um sich über die aktuelle Situation der regionalen Automobilzulieferindustrie zu informieren. Erwartet wird deren Unterstützung auch bei der Entwicklung und Umsetzung eines Masterplanes Südwestsachsen, der Region, die von der aktuellen Automobilkrise am meisten betroffen ist. Säulen des Planes sind Entwicklungen in den Bereichen mit zukunftsträchtigen Wertschöpfungspotenzialen. Dazu zählen neben Mobilität die Themen Materialien/Ressourcen/Kreislaufwirtschaft sowie Automatisierung und Digitalisierung der Produktion. „Wir arbeiten hier eng mit allen Partnern zusammen, da es hier viele Überschneidungen gibt. Ein weiteres Ziel ist, den Standort besser nach außen zu präsentieren, damit wir gehört und gesehen werden“, so AMZ-Netzwerkmanager Dirk Vogel. 

Alle Artikel E-Mail Xing