Christoph Neuberg ist seit 1. Juli 2022 neuer Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz. Der 47-Jährige gehört seit 2014 zum Führungsgremium der Kammer und hat vorher in verantwortlichen Positionen in der Industrie gearbeitet. Zu aktuellen Aufgaben und zukünftigen Ausrichtungen seiner Tätigkeit in dem von der Automobilzulieferindustrie wesentlich geprägten Kammerbezirk sprach „Autoland Sachsen“ mit dem studierten Volkswirt und ehemaligen Strategieberater.
Herr Neuberg, welche Themen stehen aktuell ganz oben auf Ihrer Agenda?
Aktuell steht da das Thema Energie. Die Herausforderungen auf diesem Feld haben mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine nochmals enorm an Dynamik zugenommen. Wir verurteilen diesen Krieg, gleichzeitig müssen wir aber die Gasversorgung unserer Wirtschaft und letztlich auch die von ihr abhängigen Arbeitsplätze sichern. Dafür brauchen wir jetzt eben noch Gas. Diese energiepolitische Realität können wir nicht ignorieren. Das kommunizieren wir auch gegenüber den politischen Verantwortungsträgern. Zugleich müssen wir ohne Denkverbote alle möglichen Handlungsoptionen für Alternativen ausloten. Dazu gehört auch die Nutzung der durchaus erheblichen Schiefergasvorkommen in Deutschland. Hierfür gibt es umweltgerechte Lösungen, die technologisch in etwa zwei Jahren Resultate bringen können. Dem stehen jedoch im Moment noch aufwendige Genehmigungen, populäre Vorurteile und politische Skrupel entgegen. Daneben brauchen wir auch für den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich beschleunigte Verfahren. Wenn die Abkehr von fossilen Energieträgern das forcierte klimapolitische Ziel ist, müssen die industriepolitischen Rahmenbedingungen für Alternativen zu 100 Prozent stimmen.
Energie: Unorthodoxes Handeln notwendig
Wie hart trifft die Unternehmen im Kammerbezirk die Verteuerung und Verknappung von Energie?
Wir wissen, dass sich die Preise bei Elektroenergie zum Teil versiebenfacht haben und bei Gas die Steigerungen nochmals höher ausfallen. Diese Erhöhungen können die Unternehmen oft nicht weitergeben. Das betrifft neben den in Lieferketten integrierten produzierenden Betrieben auch Dienstleister. Im Moment sehen wir kein Herunterfahren von Fertigungen oder Freisetzen von Personal. Im Gegenteil: Die allermeisten Unternehmen versuchen hier gegenzusteuern und sich generell auf die neue Situation einzustellen. Denn die Verteuerung und Verknappung fossiler Energieträger resultiert aus vielen Faktoren wie der angestrebten Umstellung der EU-Wirtschaft gemäß den Zielstellungen des Green Deal oder dem angestoßenen Strukturwandel in der Mobilität. Der Krieg hat die Situation allerdings deutlich zugespitzt und fordert jetzt energisches, unorthodoxes Handeln. Wie dramatisch die Lage ist, erkennt man nicht zuletzt daran, dass sie die deutsche Bundesregierung dazu zwingt, ihre klimapolitische Agenda zumindest in Teilen zu unterbrechen.
Sie haben mit dem Strukturwandel in der Mobilität ein weiteres großes Umbruch-Thema angesprochen. Wie gut ist die von der Automobilzulieferindustrie geprägte Region Südwestsachsen darauf vorbereitet?
Wir registrieren momentan eine etwas paradoxe Situation: Zulieferer, die Komponenten für das „Auslaufmodell“ verbrennungsmotorischer Antrieb fertigen, verzeichnen gute und zum Teil sogar wachsende Auftragseingänge. Davon sollte sich jedoch niemand täuschen lassen. Häufig handelt es sich dabei um Projekte, die OEMs oder Zulieferer der höheren Ebene auslagern, um sich auf die Zukunftsthemen der Mobilität zu konzentrieren. Die jetzige Auftragsflut ist also auf eine absehbare Zeit begrenzt. Neben dem operativen Geschäft sollten sich die Unternehmen deshalb auf jeden Fall strategisch für die Zeit danach aufstellen.
Mit ITAS Transformation begleiten
Welche Unterstützung können sie dafür in Anspruch nehmen?
Wir haben dafür das Projekt ITAS auf den Weg gebracht. Die Abkürzung steht für Integrierte Transformationsgestaltung in der Automobilregion Südwestsachsen. Unter der Konsortialführerschaft der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft CWE arbeiten das Automobilzuliefernetzwerk AMZ, die Agentur für Arbeit, die IG Metall und wir als Integrator der regionalen Wirtschaft zusammen. Auch sind die südwestsächsischen Landkreise mit eigenen Projektideen mittelbar über uns angebunden. Gemeinsam wollen wir die Unternehmen bei der Transformation begleiten, den strategischen Dialog dafür anstoßen und Optionen sowohl innerhalb als auch außerhalb des angestammten Marktes aufzeigen.
Chance auf Spitzenposition in neuer Schlüsselindustrie
Welche Optionen sehen Sie hier?
Ein Feld mit enormen Zukunftspotenzial sind Wasserstofftechnologien. Viele Zulieferer in der Region besitzen ausgeprägte Kompetenzen in der Präzisionsbearbeitung. Mit diesen Fähigkeiten sind sie beispielsweise prädestiniert dafür, z.B. Teile von Brennstoffzellen, Elektrolyseuren sowie weiteres Equipment für die Herstellung und Speicherung von Wasserstoff herzustellen. Wir haben jetzt die Chance, dieses noch weitgehend freie Zukunftsfeld mit Kompetenz zu besetzen und damit zur Spitze einer neuen Schlüsselindustrie zu gehören, nach dem Motto: Überholen ohne einzuholen. Sachsen hat hier eine eigene Geschichte, eine „Saxess Story“, sozusagen: frühe Industrialisierung, frühzeitiger Automobilbau, frühe Mikroelektronik – um nur drei augenfällige Beispiele zu nennen. Diese Geschichte gilt es fortzuschreiben. Ein solches Vorhaben benötigt allerdings auch entsprechend qualifizierte Fachkräfte und ein hohes Umsetzungstempo. Daran wird bereits in der Region gearbeitet. Die Kammer sieht sich auch hier in der Verantwortung, die Dinge mit auf den Weg zu bringen. Dafür müssen wir aber alle noch schneller werden.
IHK: Unternehmensnähe neu definieren
Wie setzen Sie diesen Anspruch in der IHK Chemnitz um?
Indem wir schneller neue Entwicklungen aufnehmen, weiterdenken, Bedarfe vorausschauend erkennen und uns mit passenden Angeboten und Ideen der Unternehmerschaft anbieten. Dieses Vorgehen möchte ich in unserem Hause noch stärker forcieren und damit Unternehmensnähe neu definieren. Dafür brauchen wir auch eine engere Verzahnung der einzelnen Fachbereiche, beispielsweise zwischen der Standortpolitik und der Bildung, und den Regionalkammern. Wichtigster Partner in diesem Zukunftsdialog sind aber unsere Unternehmer. Gemeinsam müssen wir Antworten auf die Frage finden, wo wir als Region in zehn, zwanzig Jahren stehen wollen und welche Qualifizierungsbedarfe sich dafür ergeben.
Trotz Green Deal und Nachhaltigkeitspolitik ist in kaum einem Berufsbild gegenwärtig schon das Thema Energieeffizienz vertreten. Tatsächlich spielt das Thema längst eine erhebliche Rolle in heutigen Unternehmen. Das wollen wir mit modular aufgebauten Weiterbildungsangeboten ergänzen, unter anderem in Zusammenarbeit mit Clustern und Bildungsträgern in diesem Bereich. Genauso könnte auch ein Drohnenführerschein für Industrie und Dienstleister ein Thema sein. Nur wissen wir es im Moment noch nicht. Ich finde es aber wichtig, solchen Entwicklungen frühzeitig nachzuspüren, statt hinterherlaufen. Die Kammer muss neben ihrer Absicherungsaufgabe für fachlich solide Ausbildung eben auch innovationsorientierte Speerspitze der beruflichen Qualifizierung in ihrer Region sein. Gelingt uns das, so tragen wir in diesem wichtigen Punkt automatisch dazu bei, den Standort langfristig strategisch zu sichern und zu entwickeln.
Duale Ausbildung – letztes gesichertes Merkmal von Made in Germany
Ein Thema, das nahezu jedes Unternehmen umtreibt, ist der Mangel an Personal. Wie kann die IHK hier unterstützen?
Das Gewinnen von Fach- bzw. Arbeitskräften ist in der Tat ein Thema, das ebenfalls ganz oben auf unserer Agenda steht. Wir können nicht mehr allein auf das heimische Personal zurückgreifen, sondern brauchen Arbeitskräfte aus dem Ausland und eine Kultur, die sie willkommen heißt. Waren unsere Außenwirtschaftsaktivitäten bisher vor allem auf den Aufbau von Export gerichtet, nutzen wir Internationalisierung nunmehr verstärkt, um für den Arbeitsstandort zu werben. Dabei werden wir auch Schüler mit Deutschkenntnissen aus anderen EU-Ländern ansprechen. Die bezahlte Ausbildung über unser duales System ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir noch besser punkten müssen. Die meist noch minderjährigen Schulabsolventen benötigen jedoch eine umfangreichere Betreuung als einheimisch Lehrlinge. Jedoch haben die Unternehmen die Chance, sich hier die zukünftigen Fachkräfte heranzubilden. Dabei wollen wir sie unterstützen. Wir müssen. Anders werden wir dem Arbeitskräftemangel nicht entfliehen.
Für die Kammer ist das ein erheblicher Spagat. Einerseits sind wir Qualitätssicherer der dualen Ausbildung. Andererseits sehen wir klar, dass es ein längst dramatisches Nachwuchsproblem für die Wirtschaft gibt und wir erhebliche Zuwanderung von Arbeitskräften benötigen. Natürlich müssen wir Lösungen finden, diese Leute dann auch in unsere Anerkennungssysteme zu integrieren und zu entwickeln. Das ist entscheidend. Die duale Ausbildung ist in meinem Verständnis das letzte gesicherte Merkmal von Made in Germany.
Internationalisierung ist auch ein Thema des 26. Automotive Forum Zwickau am 5. und 6. Oktober 2022. Was erwartet die Teilnehmer?
Wir entwickeln das bewährte Format weiter und haben dafür unter anderem die Partnerland-Idee neu belebt. Diesmal wenden wir uns dabei mit Indien einem der wachstumsstärksten Automobilmärkte der Welt zu. Dafür bieten wir erstmals eine virtuelle B2B-Plattform an, auf der sich interessierte deutsche und indische Firmen sehr direkt austauschen und zu einem qualifizierten Erstkontakt kommen können. Wir erwarten außerdem Experten deutscher OEMs in Indien als Referenten sowie eine Delegation indischer Unternehmen. Auch die indische Botschaft unterstützt das Vorhaben. Hauptthema des Kongresses ist der Strukturwandel mit Innovationen. Das ist die grundsätzliche Marschrichtung für unsere Wirtschaft. Immer optimistisch ans Morgen denken. Kreativ vorwärtsorientiert. Nur auf diesem Weg bleiben wir zukunftsfähig.