Nichtfossile, CO2-neutral hergestellte Kraftstoffe sind die Brücke, um die verschärften Klimaschutzziele der EU bis 2030 zu erreichen und Millionen von Verbrauchern weiterhin bezahlbare individuelle Mobilität zu ermöglichen, denn Verbrenner-Fahrzeuge werden in diesem Jahrzehnt nach wie vor das Straßenbild bestimmen. Technologisch kann die Erzeugung und Anwendung nachhaltiger Kraftstoffe sofort starten und für Sachsens Industrie Geschäft bringen, regulatorisch und ideologisch müssen noch Hürden überwunden werden. Das verdeutlichten Experten aus Industrie und Wissenschaft zur Online-Veranstaltung „Grüne Treibstoffe für ein exportstarkes Sachsen“, die am 1. Juni 2021 von der IHK Chemnitz ausgerichtet wurde.
Christoph Neuberg, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz, verglich die zeitliche Verfügbarkeit von synthetischen Kraftstoffen und Wasserstoff mit dem Bild vom Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach. Wenn Deutschland nur mit Mühen und extrem langsam ein Breitbandnetz sowie eine Ladeinfrastruktur etablieren könne, um wie viel schwieriger werde dann der Aufbau eines Wasserstoffnetzes, gab er zu bedenken. Die „Taube“ Wasserstoff hänge noch ziemlich hoch. Auf dem Weg dahin sei die Benzinsynthese der „Spatz“, den man bereits in der Hand halte. Nur mit einem technologieoffenen und ideologiefreien Energiemix werden kurzfristig notwendige Entlastungen für das Klima erreicht. „Synthetische Kraftstoffe sind nicht nur ein wichtiger Teil davon, sondern dank des in der Region vorhandenen Know-hows eine Riesenchance für die sächsische Wirtschaft – auch im Kontext des Strukturwandels in der Zulieferindustrie“, betonte er.
Grüne Kraftstoffe entscheiden essenziell über den Erfolg der Energiewende
Ziel der Veranstaltung war es denn auch, bei den Verantwortlichen aller politischen Ebenen für grüne Treibstoffe zu werben – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der für Mitte Juli erwarteten Gesetzgebungsvorschläge der EU-Kommission an das Europäische Parlament zu diesem Thema. In Deutschland regen sich nach langer Nichtbeachtung der synthetischen Kraftstoffe für einen bezahlbaren Technologiewechsel in Richtung Klimaschutz mehr und mehr Pro-Stimmen. So fordern Verbände wie ADAC, VDA, VDIK und der Kfz-Gewerbeverband ZDK eine Mindestquote von fünf Prozent für E-Fuels in allen Anwendungen im Verkehrssektor bis 2030, denn grüne Kraftstoffe würden essenziell über den Erfolg der Energiewende entscheiden. „Nur über sie lässt sich der Bestand von rund 59 Millionen Kfz allein in Deutschland in den Klimaschutz einbeziehen“, sagt ZDK-Vizepräsident Wilhelm Hülsdonk. Auch die Bundesregierung will nunmehr die Entwicklung strombasierter Kraftstoffe und fortschrittlicher Biokraftstoffe mit 640 Millionen Euro auf dem Weg zur Marktreife fördern.
Nachhaltiges Kerosin und Benzin aus Sachsen bereit für den Markt
In Sachsen sind Partner aus Industrie und Forschung bereit, mit der Einführung von E-Fuels zu starten. Jan Schwartze vom EDL Anlagenbau Leipzig stellte ein Konzept zur Produktion von synthetischem Kerosin vor. Mit CO2 und Wasser aus der Umgebungsluft sowie erneuerbarer elektrischer Energie wird nachhaltiger Treibstoff für den Luftverkehr gewonnen. In einem Leuchtturmprojekt plant EDL mit weiteren Partnern in Böhlen bei Leipzig die weltweit erste Industrieanlage zur Herstellung von grünem SAF-Kerosin (SAF = Sustainable Aviation Fuel). Produktionsstart soll im ersten Quartal 2026 sein.
In Freiberg haben die TU Bergakademie und der Chemnitzer Chemieanlagenbau CAC bereits eine Technologie zur Herstellung von synthetischem Benzin in einer Großforschungsanlage erprobt, wie Prof. Martin Gräbner von der TU und Dr. René Stahlschmidt von CAC berichteten. Jetzt geht es in die industrielle Skalierung. Das wirtschaftliche Betreiben ist stark abhängig von den Strompreisen in verschiedenen Regionen der Welt. Standorte in sogenannten Gunstländern in Vorderasien oder Nordafrika ermöglichen eine Produktion für unter 90 Cent pro Liter, erläuterte Dr. Stahlschmidt. E-Fuels in Ländern herzustellen, die über mehr Wind- und Sonnenkraft verfügen als Deutschland, und über Tankschiffe oder Pipelines zu transportieren, ist auch aus einem anderen Grund günstig. Die Produktion steht damit nicht in Konkurrenz zu den knappen Mengen erneuerbaren Stroms in Deutschland. Eher wird das weltweite Potenzial erneuerbarer Energien besser erschlossen und die Wirkungsgradverluste von E-Fuels werden im Vergleich zur direkt elektrischen Nutzung in Deutschland kompensiert.
Deutsches Know-how und Energie aus Sonnenländern kombinieren
Ein Land, in dem die Produktion grüner Treibstoffe forciert wird, ist Saudi-Arabien. Der dort beheimatete weltgrößte Erdölproduzent Aramco setzt auf das Thema synthetische Kraftstoffe, vor allem getrieben von den Märkten in China, Japan und Korea. Matthias Braun von Aramco Overseas Company verwies darauf, dass den derzeit 1,3 Milliarden Verbrenner-Fahrzeugen auf der Welt etwa acht Millionen E-Autos gegenüberstehen. In der EU werden 2030 etwa 250 Millionen Fahrzeuge unterwegs sein bei einem E-Mobil-Anteil von 20 bis 25 Prozent. Um den Verbrenner-Bestand klimafreundlich zu gestalten, komme man an grünen Kraftstoffen nicht vorbei. Aramco baut derzeit zwei E-Fuel-Anlagen in Saudi-Arabien sowie in Spanien auf. Dabei ist deutsches Know-how gefragt, um langfristig auf ein Kostenniveau von Diesel und Benzin zu kommen. Die deutsche Technologiestärke – immerhin kommen 16 Prozent der weltweiten Umwelttechnik von hier – und die günstige Energie aus den Sonnenländern bilden eine ökologisch wie ökonomisch sinnvolle Symbiose.
E-Fuels auf CO2-Flottenziele anrechnen
Ein Technologiepionier ist Sunfire aus Dresden. Das Unternehmen ist seit Gründung 2010 zu einem weltweit führenden Elektrolyse-Experten gewachsen. Es entwickelt und baut hocheffiziente industrielle Anlagentechnik zur Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff und strombasierten Kraftstoffen. Mitgründer Carl Berninghausen unterstrich, dass noch vorhandene regulatorische Hemmnisse schnellstens beseitigt werden müssen, um die marktreifen neuen Technologien in Anwendung zu bringen. Der Aufbau brauche etwa drei Jahre. Die ambitionierten Klimaschutzziele lassen keinen weiteren Zeitverzug zu. Die Fachleute waren sich einig, dass u. a. eine Anrechnung von E-Fuels auf die CO2-Emission bei Fahrzeugflotten notwendig ist und Unsicherheiten beim Strombezug beseitigt werden müssen. Angeregt wurden z. B. Pools für erneuerbare Energien in Öffentlich-Privaten-Allianzen.