Das Thema E-Mobilität war zum 23. Internationalen Automobilkongress am 5./6. November 2019 in Zwickau in aller Munde, nicht zuletzt bedingt durch den am 4. November erfolgten offiziellen Produktionsstart des ersten vollelektrischen ID.3 im nahen VW-Werk. Die strikten E-Mobility-Verfechter, die Befürworter eines technologieoffenen Antriebsmixes und die Vertreter einer modernen verbrennungsmotorischen Mobilität waren sich in einem Punkt einig: Der Antriebsstoff der Zukunft darf kein fossiler sein. Dekarbonisierung heißt der gemeinsame Nenner.
Für Kurt Sigl, Präsident des Bundesverbandes eMobilität, ist das E-Fahrzeug im Pkw-Bereich kompromisslos. Die Politik solle hierbei nicht immer wieder neue quantitative Ziele aufrufen, sondern pragmatisch anfangen, die infrastrukturellen Hemmnisse in punkto E-Mobilität zu beseitigen. Die „German Angst“ sei kein guter Ratgeber. Mit der wachsenden Weltbevölkerung wachse auch die Automobilproduktion weiter. Daraus ergeben sich Chancen „so gut wie nie zuvor“ für das Thema Mobilität. Die Welt schaue auf Deutschland und erwarte Lösungen, appellierte Sigl an Industrie und Politik.
Das E-Auto löst keine Verkehrsprobleme
Dr. Helmut Becker vom IWK-Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation sieht im E-Auto einen Randmarkt, der auf Innenstädte begrenzt ist. Außerdem könne er als Ökonom nicht nachvollziehen, weshalb man sich von bewährten Technologien mit viel Zukunftspotenzial verabschiede und beispielsweise nicht stärker auf regenerativ erzeugte synthetische Kraftstoffe setzt. E-Autos beseitigen nicht die Verkehrsprobleme in den Innenstädten wie Stau und Parkplatznot. Die Vergangenheit zeige, dass sich Neues durchsetzt, wenn es signifikant besser ist als das Vorhandene und nannte als Beispiel die Erfindung der Zündkerze. Damit war der Durchbruch der verbrennungsmotorischen Massenmobilität möglich und keiner sei damals auf die Idee gekommen, staatliche Förderungen auszureichen.
Auch für Prof. Dr. Thomas Koch vom Institut für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie liegt die Zukunft der Mobilität im technologieoffenen Mix. Es gibt nicht die eine Lösung, die für alles passt, betonte er. Nachdem die Dieseldebatte in den zurückliegenden Jahren ideologisch geführt wurde, kehre man allmählich wieder zur Sachlichkeit zurück und erkenne, dass moderne Verbrenner keine Umweltverschmutzer sind.
Wasserstoff-Technologien kommen
Eine Lanze für grünen Wasserstoff und die Brennstoffzellentechnologie brach Karl Lötsch, Geschäftsführer des sächsischen Innovationsclusters HZwo. Das Thema komme weltweit. So sei ab 2025 mit einem Durchbruch auch im Pkw-Bereich zu rechnen. Dabei will Sachsen eine Rolle spielen. Deshalb bauen die Clusterakteure ein Netzwerk für die Produktion von Serienkomponenten auf.
Mit Jörg Hofmann meldete sich ein Verfechter des E-Antriebs mit Range Extender zu Wort. Der Geschäftsführer der London Electric Vehicle Company (LEVC) zeigte auf, wie die Verbannung der schwarzen Diesel-Taxis aus London City zur Gründung des ersten E-Taxi-Herstellers weltweit führte. Das britische Unternehmen im Besitz des chinesischen Geely-Konzerns hat seit 2018 mehr als 3000 Taxis abgesetzt, die batterieelektrisch unterwegs sind und einen Range Extender an Bord haben, der ausschließlich die Batterie lädt. 600 Kilometer Reichweite sind damit möglich. LEVC weitet seine Aktivitäten auf E-Nutzfahrzeuge für den innerstädtischen Verkehr aus und will 2024 in Großstädten rund um den Globus mit E-Taxis, -Vans und -Transportern vertreten sein.
Elektromobilität „made by Porsche“ präsentierte Dr. Oliver Manicke am Beispiel des Taycan. Er gab insbesondere einen Einblick in die E/E-Architektur des ersten vollelektrischen Sportwagens aus Zuffenhausen, der mit einem 800-Volt-System weiterhin für schnelles Fahren bei schnellem intelligentem Laden steht.
Unternehmen sollen sich stärker mit IT beschäftigen
Neue Mobilitätskonzepte werden erfolgreich, wenn sie die Möglichkeiten von Big Data effizient nutzen und einen Komfortgewinn aus der Digitalisierung ziehen, so die Quintessenz aus dem Vortrag von Jörg Ohlsen, Geschäftsführer von ESG Mobility. Unternehmen sollten sich viel stärker mit IT beschäftigen, um auf dieser Basis tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Mobilität vom Nutzererlebnis her digital denken und aufbauen, ist das Konzept des chinesischen E-Fahrzeugherstellers Nio, wie Felix Buchner berichtete. Emotionen werden dabei nicht nur mit Premiumfahrzeugen geweckt und bedient. So bieten Nio Houses in 20 chinesischen Großstädten exklusive Haltepunkte für Pausen zum Kaffeetrinken, Arbeiten oder Entspannen.
Der Wandel hin zur E-Mobilität erfordert vor dem hippen Nutzererlebnis jedoch die sichere Beherrschung der Technik. In diesem Zusammenhang verwies Dr. Albrecht Köhler von der Schaltbau Holding auf die Renaissance der Gleichstromtechnik für ein sicheres Schalten zwischen Gleich- und Wechselstrom. Das Laden, Entladen und Wandeln zwischen wechselstrombetriebenem Motor und gleichstromspeichernder Batterie braucht besondere Schaltfertigkeiten, um die potenziellen Gefahren der Gleichstromtechnik sicher zu beherrschen. Diese Thematik erfordere aufgrund des Wechselstromprimats in den letzten 100 Jahren noch viel Entwicklungsarbeit.
Oft nur viel Gerede über E-Mobility-Förderung
Das Konzept des deutschen E-Fahrzeugherstellers e.Go Mobile, der mit dem StreetScooter-Projekt für die Deutsche Post eine Vorreiterrolle einnimmt, stellte Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Stephan Krumm bereits am Vorabend des Kongresses auf der Galaveranstaltung vor. Aktuell hat das Unternehmen den Kompakt-Pkw e.Go Life sowie den als Van oder Transporter nutzbaren e.Go Mover im Produktportfolio. Das Besondere ist das Produktionskonzept in der Industrie 4.0-Fabrik, die höchste Flexibilität bei kleineren Stückzahlen ermöglicht. Um den nächsten Schritt in Richtung Fertigungshochlauf zu gehen, sei nochmals ein Finanzinvest notwendig. Das ist derzeit laut Krumm in Deutschland nicht zu bekommen. Es werde zwar viel über die Förderung der Elektromobilität geredet, am Ende des Tages sei man aber auf sich selbst angewiesen, teilte er einen Seitenhieb in Richtung Politik aus. Die Konsequenz ist, einen ausländischen Investor zu gewinnen, so der e.Go-Manager.
Bundesregierung muss „strategische Sprachlosigkeit“ ablegen
Das fehlende Handeln der Politik prangerte auch Benedikt Grütz vom Senat der Wirtschaft Deutschland an. Es sei an der Zeit, dass die Bundesregierung ihre „strategische Sprachlosigkeit“ ablege. Kein Land gehe mit seiner Autoindustrie so um wie Deutschland. Die Klimadiskussion wird populistisch geführt. „Man sägt den Ast ab, auf dem man sitzt“, so Grütz. Die Mobilitätswende müsse als gesellschaftspolitische Herausforderung begriffen und umgesetzt werden.
Ehrung für gesellschaftliches Engagement
Am gleichen Abend konnte noch ein positives gesellschaftliches Handeln geehrt werden. Der Unternehmer Marco Rumpf von der DRH Vermögensverwaltung GmbH Zwickau erhielt die Ehrennadel der IHK Chemnitz in Silber. Damit würdigte die Kammer sein Engagement in der DRH Stiftung Kinderhilfe, mit der Projekte in der Region zu Gunsten sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, unterstützt werden.
Der 23. Internationale Automobilkongress zog mehr als 300 Teilnehmer aus Deutschland, Finnland, Indonesien, Japan, Mexiko, Thailand und Ungarn nach Zwickau. Organisiert wurde die Veranstaltung von der IHK Chemnitz in Zusammenarbeit mit dem sächsischen Automobilzuliefernetzwerk AMZ.