Das Angebot zur Diskussion von Chancen und Risiken vor dem Hintergrund des Strukturwandels in der Automobilindustrie zog an: Die 250 Plätze für den „Industriedialog Neue Mobilität Sachsen“ am 6. Februar 2020 in der Gläsernen Manufaktur Dresden waren in kurzer Zeit ausgebucht. Experten von Automobilherstellern, aus der Zulieferindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Energieversorgung, dem Gebäudemanagement, der IT- und Logistikbranche sowie von Mobilitätsservices nutzten die Möglichkeit zu Erfahrungsaustausch und Vernetzung über Branchengrenzen hinweg.
Impulse für aussichtsreiche Geschäftsfelder, Erfolgsfaktoren beim Transformationsprozess, eine CO2-neutrale Produktion sowie zu aktuellen Entwicklungen bei Ladeinfrastruktur, Stromnetze und Wasserstoff gab es in interaktiv mit dem Publikum geführten Podiumsdiskussionen sowie an Gesprächsinseln zu den Themen Innovation, Produktion, Mobilität, Energie und Unterstützung. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig, der zum Dialog eingeladen hatte, sowie Dr. Tilman Werner, Geschäftsführer des Veranstalters SAENA, ermunterten die Anwesenden, die Chancen zur rechtzeitigen Orientierung zu nutzen und branchenübergreifend Partner für neue Projekte zu finden.
Dirk Vogel vom Automobilzuliefernetzwerk AMZ zeigte auf, dass sich die Trendwende zur E-Mobilität eingebettet in generelle Veränderungsprozesse bezüglich Produkt, Prozess und Markt vollzieht und Sachsen durch die Ausrichtung seiner OEM-Werke auf batterieelektrische Mobilität im Besonderen betroffen ist. Das stellt die Zulieferer vor die Herausforderung, die daraus resultierenden Aufgaben schnell und thematisch parallel zu bearbeiten. Für Neuausrichtungen müssen jedoch auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Als Stichworte hierfür nannte Vogel Energiewende und Arbeitskräfte.
Anforderung an Zulieferer: CO2-Vermeidung
Wie der Umbauprozess zum reinen E-Auto-Werk bei VW in Zwickau voranschreitet, darüber informierte Reinhard de Vries, Geschäftsführer Technik und Logistik bei Volkswagen Sachsen. Aktuell laufen täglich 100 neue ID.3 vom Band. Parallel dazu wird die zweite Fertigungslinie umgebaut. Mitte des Jahres endet dann die konventionelle Golf-Fertigung. Ab 2022 soll die volle Kapazität von 330.000 Fahrzeugen pro Jahr erreicht sein – mit E-Auto-Modellen der Marken VW, Audi und Seat. Dann aus CO2-neutraler Produktion. Bereits seit 2017 bezieht VW Sachsen Grünstrom aus österreichischer Wasserkraft. Auch die Fertigung des ID.3 ist CO2-neutral ausgerichtet. CO2-Vermeidung wird ebenso von den Lieferanten erwartet. Das passiere nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt. Begonnen werde bei den energieintensiven Prozessen der Stahl-, Aluminium- und Batterieproduktion, so de Vries.
Optimismus und Krisenstimmung eng beieinander
Mit Wilhelm Prinz von Hessen von First Sensor Mobility Dresden und Otto Graf vom im Aufbau befindlichen Bosch-Standort in Dresden berichteten die Vertreter zweier Unternehmen über Produkt- und Leistungsfelder wie Sensorik und Mikro-Chips, die zukünftig noch stärker für vernetzte und automatisierte Mobilität gefragt sind. Im Gegensatz dazu verwies Udo Binder vom Auer Werkzeugbau AWEBA darauf, dass der Werkzeugbau zu den von Dieselkrise, handelspolitischen und konjunkturellen Aspekten gebeutelten Branchen gehöre. AWEBA ist Spezialist für Antriebstechnik-Werkzeuge und hat sich beizeiten auf die Themen Elektrifizierung und Hybridisierung konzentriert. Jedoch reicht das aktuelle Volumen am Markt nicht aus. Im Moment sei weder für Verbraucher noch für die Akteure in der automobilen Wertschöpfungskette eine klare Ausrichtung bei der Antriebstechnik erkennbar. Diese fehlende Richtschnur erschwert unternehmerisches Handeln. Der Rat des Wirtschaftsministers, nicht nur auf das Produkt Fahrzeug und dessen Stückzahlen zu schauen, dürfte dem Unternehmer wenig helfen.
In der Diskussion wurde deutlich, was den Zulieferern noch unter den Nägeln brennt und sie insbesondere von der Politik erwarten: mehr Fokus auf synthetische Kraftstoffe, denn damit ließe sich auch deutlich CO2 einsparen; international wettbewerbsfähige Energiekosten, denn wenn man diese bei OEM-Verhandlungen ins Spiel bringe, erhalte man den Rat, doch ins günstigere Ausland zu wechseln. Auch müsse Sachsen seinen Rückstand beim Ausbau der erneuerbaren Energien schleunigst aufholen, damit grüner Strom nicht aus anderen Ländern bezogen werden muss. An die Automobilhersteller waren die Fragen nach wirtschaftlicher Nutzung von Anhängern bei E-Fahrzeugen sowie zu den Entwicklungen von der Flüssig- zur Feststoffbatterie adressiert.
Elektrisch fahren mit Strom und Wasserstoff
Im zweiten großen Diskussionsblock standen die Themen Ladeinfrastruktur und Netze, Wasserstoff und Brennstoffzelle sowie Vernetzung zwischen mobiler und immobiler Nutzung im Mittelpunkt. Carsten Wald von Drewag/Enso zeigte auf, dass der Markthochlauf der E-Mobilität bis zum Jahr 2030 energetisch kein Problem darstellt. Zehn Millionen E-Autos verbrauchen fünf Prozent des deutschen Strombedarfs. Die Förderung beim Ausbau der Ladeinfrastruktur sollte jedoch zügig auf das sich bereits zeigende Nutzerverhalten abgestimmt werden. So werden Schnellladesäulen dreimal häufiger angefahren als Normalladeeinrichtungen. Fördertechnisch stehen die Normalladesäulen noch an erster Stelle.
Die Vorzüge von mit grünem Wasserstoff gespeisten Brennstoffzellenfahrzeugen wie die Nutzung des bereits verfügbaren Tankstellennetzes und der schnelle Tankvorgang stellte Karl Lötsch vom Innovationscluster HZwo Chemnitz vor. Auch in Sachen Wärmeversorgung sowie für synthetische Kraftstoffe spielt grüner Wasserstoff künftig eine Rolle. Der Cluster arbeitet daran, Komponenten für Brennstoffzellenfahrzeuge für eine serientaugliche Produktion zu entwickeln und diese in Sachsen zu industrialisieren. Das eröffnet neue Chancen für Zulieferer aus dem konventionellen Antriebsbereich.
Die mit 60 Fahrzeugen größte H2-Fahrzeugflotte in Deutschland betreibt CleverShuttle, wie Johanna Reinhardt als Vertreterin dieses Ridepooling-Anbieters ausführte. Weitaus größer ist jedoch die Zahl der batterieelektrischen Autos, mit denen man sich in Städten von Tür zu Tür fahren lassen kann und dabei den Pkw mit Mitfahrern teilt, die in eine ähnliche Richtung unterwegs sind. Gebucht wird über eine App.
Die Bedeutung von Software für eine nachhaltige Energie- und Mobilitätswende betonte Dr. Carsten Bether von Kiwigrid. Das Dresdner Unternehmen versteht sich als eine offene Plattform für die Zukunft von Energie und E-Mobilität und stellt seinen Kunden wegweisende Technologien und Dienstleistungen zur Verfügung, die die Energieeffizienz steigern, die Nutzung erneuerbarer Energien optimieren, den Weg für Elektrofahrzeuge ebnen und Stromnetze stabilisieren.
Der „Industriedialog Neue Mobilität Sachsen – Vernetzung von Branchen, Technologien und Verkehrsträgern“ wurde von der Kompetenzstelle Effiziente Mobilität Sachsen im Auftrag des sächsischen Wirtschaftsministeriums (SMWA) veranstaltet. Die Kompetenzstelle wird vom SMWA finanziert und ist bei der Sächsischen Energieagentur – SAENA GmbH angesiedelt.