Wohin steuert die Automobilregion Südwestsachsen? Erste Antworten auf diese Frage gab der 1. ITAS-Kongress am 8. Juni 2023 in Chemnitz. ITAS steht für Initiative Transformation Automobilregion Südwestsachsen. Akteure in diesem vom Bund geförderten Projekt sind die CWE Chemnitz, das sächsische Automobilzuliefernetzwerk AMZ, die IHK Chemnitz, die IG Metall und die Bundesagentur für Arbeit.
Mehr als eine Veränderung des Antriebs
Die viel zitierte Transformation der Automobilindustrie umfasst weit mehr als eine technische Veränderung im Antrieb. In den Vorträgen und Diskussionsrunden zeigte sich, dass der Wandel deutlich tiefer geht. Weiterentwickelte bzw. gänzlich neue Qualifikationen sowie Verhaltensweisen sind notwendig, um Unternehmen, Arbeitsplätze und generell das Zusammenleben zukunftsfest zu gestalten. Das betrifft nicht nur die rund 18.000 Menschen in der Region, die direkt mit der Produktion verbrennungsmotorischer Produkte befasst sind. So ist jeder dritte Arbeitsplatz in Sachsen von Digitalisierung betroffen. Darauf verwies Michaela Ungethüm, Geschäftsführerin operativ bei der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit. Die Herausbildung digitaler Schlüsselkompetenzen werde berufsunabhängig gebraucht. In der Automobilindustrie und bei deren Zulieferern bedeute das u.a. Qualifizierung „weg von der Zündkerze hin zu Assistenzsystemen“. Die Arbeitsagenturen bieten entsprechende Bildungsmöglichkeiten mittlerweile auch für Beschäftigte an, beispielsweise für gering Qualifizierte. Diese rund 50.000 Menschen sowie die aktuell ca. 128.000 Arbeitslosen in Sachsen müssen angesichts Fachkräftemangel in den Wandel einbezogen werden. Dafür brauche die Agentur jedoch die Bildungsbedarfe, richtete sich Michaela Ungethüm insbesondere an die Unternehmen.
Neue OEM in Europa – Chancen für Zulieferer
Die Wechselwirkungen zwischen globalen Veränderungen und regionalen Chancen in der Automobilindustrie zeigte Moritz Krusch, Associate Partner bei Porsche Consulting, auf. Produktionsüberkapazitäten sowie die Expansion chinesischer E-Fahrzeughersteller kennzeichnen die Situation in Europa. Hinzu kommen Unsicherheiten über den generellen Hochlauf der E-Mobilität und damit verbundene Stückzahlen. Die Gestaltung einer flexiblen Fertigung bei Fachkräftemangel und Inflation verlange nach strategischer Automatisierung und Personalplanung, so der Berater. Die Ansiedlung neuer OEM in Europa biete gerade für Zulieferer Chancen für neues Geschäft. Immer geboten sei, sein angestammtes Portfolio kritisch zu prüfen und ebenso Clustervorteile zu nutzen, um sein Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten.
Aktiv gestalten oder Folgen verwalten?
Diese Frage warf Thomas Knabel, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau, auf und lieferte auch gleich Antworten. Die anstehende Transformation könne nur gestaltend gelingen, betonte der Gewerkschafter. Die heutigen Aufgaben lassen sich nicht mit den Denkweisen von früher lösen, so Knabel. Insbesondere zielte er auf das viele Jahre gebrauchte Argument des Niedriglohnstandortes Sachsen. Das werde nicht mehr funktionieren. Die positive Entwicklung als Autoland sei auch einem Glücksumstand der Wende zu verdanken – dem Engagement des gebürtigen Sachsen Carl Hahn. Eine gesteuerte Entwicklung des Standorts mit regionalen Akteuren sei damals nicht passiert. Anders als im Westen gibt es dafür in Sachsen keine Kultur, keine Netzwerke. Das zeige sich u. a. bei Betriebsschließungen, meinte Knabel. Wie viele andere Redner und Diskutierende warb der Gewerkschafter dafür, die Transformation für alle Beteiligten aktiv und fair zu gestalten.
Transformations-gestählte Region?
Damit ist ein Kernthema des ITAS-Projekts angesprochen. Sind die Menschen in der Region Südwestsachsen aufgrund der Wende-Erfahrungen besonders transformations-gestählt und veränderungsbereit? Oder ist das Gegenteil der Fall? Diese und weitere Themen untersucht das auf den öffentlichen Sektor spezialisierte Beratungsunternehmen atene KOM in der ITAS-Resilienzstudie. Daraus sollen Handlungsempfehlungen für den Transformationsprozess resultieren.
Entwicklung zu einem „vernünftigen Bildungsland“
Erste Impulse dafür brachten die Workshops, Panels sowie die Abschlussdiskussion des Kongresses. Als essenziell für das Gelingen der Transformation kristallisierte sich das Thema Bildung heraus. Die Notwendigkeit, Sachsen zu einem „vernünftigen Bildungsland“ zu entwickeln, betonten sowohl die Erfahrungsträger aus der Industrie als auch die Vertreter des Schülerrates. Die Jugendlichen von heute erwarten, dass die Unternehmen sie einladen und umwerben. Dass der Freistaat die geringsten Kosten pro Schüler habe und dass das Verhältnis zwischen Forschungsgeldern und Patenten desaströs sei, zeige auf, welche Arbeit hier noch zu leisten ist.
Deutlich mehr und andere Qualifikation verlangen auch die Veränderungen in der Arbeitswelt, die aus Digitalisierung und Automatisierung erwachsen. In der Podiumsdiskussion „Menschenleere Produktion 2035?“ sprachen die Akteure u. a. über neue Lehr- und Berufsinhalte. So werden Fachleute gebraucht, die sowohl Management- als auch Informatik-Kompetenzen haben.
Ein konkretes Markenzeichen, mit dem die Automobilregion punkten kann, sprachen die AMZ-Vertreter an. Aufgrund der vorhandenen Kompetenzen plädierten sie für die Entwicklung hin zu einer Region für das automatisierte Fahren. Das sorgt für zukunftsfähige Wertschöpfung und fördert den Wandel hin zu einer nachhaltigen Mobilität mit überregionaler Aufmerksamkeit.
Die Region muss mit einer Stimme sprechen
Ähnliche Potenziale gibt es auch im Bereich Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien. Um diese wirksam zu erschließen, ist die Verfügbarkeit von Wasserstoff elementar. Deshalb müsse sich die Region dafür einsetzen, dass die Leitungsnetze aus der mitteldeutschen Chemieregion bis in den südwestsächsischen Wirtschaftsraum führen. Hier wie für weitere Themen sei es notwendig, dass die Region mit einer Stimme spreche und alle Akteure zusammenarbeiten. Wenn das nicht passiere, dann könne hier das Gleiche drohen wie beim leidigen Thema Zugverkehr und Chemnitz abgehängt werde.