Dass die Automobilbranche unter Strom steht, ist momentan eher im übertragenen Sinne zu verstehen. Denn der Absatz der Stromer schwächelt. Viele Faktoren bremsen den Hochlauf der E-Mobilität, allen voran die Preise für die Fahrzeuge. Das Autoland Sachsen steht hierbei in besonderem Maße unter Strom. Zum einen kommt bereits jedes vierte in Europa gebaute vollelektrische Auto von hier. Zum anderen verunsichern die zu geringe Nachfrage und die preiswertere Konkurrenz aus China deutsche Hersteller und ihre Beschäftigten.
Besonders im und um das VW-Werk Zwickau ist die Verunsicherung groß. Der Autobauer hat angekündigt, befristete Arbeitsverhältnisse nicht zu verlängern, weil die Nachfrage nach den E-Modellen aus Zwickau schwächelt. Das wirkt sich genauso auf die Zulieferer im nahen und weiteren Umfeld aus. Wohin steuert Sachsens Automobilindustrie unter diesen Vorzeichen? Diese Frage erörtert Wirtschaftsminister Martin Dulig in der jüngsten Folge seines Youtube-Formats „Martin Dulig | Konkret“. Gesprächspartner sind Dirk Vogel, Manager des sächsischen Automobilzuliefernetzwerks AMZ; Kristin Oder, Vize-Betriebsratschefin im Zwickauer VW-Werk; Mario Müller, Beigeordneter für den Landkreis Zwickau, sowie Prof. Dr. Joachim Ragnitz, Vize-Leiter der ifo-Instituts-Niederlassung Dresden.
„Wir werden diese Delle überwinden“
Im zentralen Punkt sind sich die Diskussionsteilnehmer einig. Das Autoland Sachsen, das jedes zehnte Auto in Deutschland fertigt, hat eine Zukunft. Die gegenwärtige Situation sei eine Delle, keine Zäsur. „Wir werden diese Delle überwinden“, sagt Martin Dulig. Das gute, vernetzte Miteinander der Akteure in Sachsen sei ein Standortvorteil. VW-Betriebsrätin Kristin Oder betont: „Es gibt keinen Weg mehr zurück!“ Dem schließt sich Mario Müller vom Landkreis Zwickau, der sich als »Motor sächsischer Wirtschaft« vermarktet, an. „Wir glauben fest an den Erfolg der Transformation“. Bei der Ausstattung mit Ladepunkten bewege sich die Zwickauer Region bereits auf dem hohen Niveau von Kalifornien.
Hersteller müssen ihre Preispolitik anpassen
Der Wirtschaftsminister verweist darauf, dass es eher eine Vertrauens- als eine Strukturkrise gibt. Anreize für den flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur und geringeren Energiepreisen gehören zu den Faktoren, die Akzeptanz und den Absatz beflügeln. Dazu gehört ebenso der Preis. „Wir sind von den Preisen her nicht konkurrenzfähig. Die Vertrauenskrise ist auch eine soziale Frage und Verantwortung. Ich appelliere an die Hersteller, ihre Preispolitik anzupassen“, so Dulig. Kaufprämien würden der deutschen Automobilindustrie per se nicht helfen, sondern kämen chinesischen Herstellern ebenso zu gute. Sowohl ifo-Forscher Joachim Ragnitz als auch Netzwerk-Manager Dirk Vogel versprechen sich von einer stärkeren Standardisierung der Produktion positive Effekte auf die Kaufpreise. Für sächsische Unternehmen wiederum, so Martin Dulig, bedürfe es guter Leasing-Angebote, um ihre Flotten mit E-Fahrzeugen auszurüsten. Betriebsrätin Oder begrüßt diesen Vorschlag: „Das halte ich für sehr zielführend. Es bringt mehr Präsenz auf den Straßen.“
Schneller wieder innovativer werden
Bei der technischen Innovation, fordert Branchenexperte Dirk Vogel, müsse Deutschland wieder schneller werden. Global tätige chinesische Fahrzeughersteller seien im Moment innovativer als heimische Produzenten. Unter den im vergangenen Jahr weltweit über zehn Millionen verkauften E-Fahrzeugen liege das beste deutsche Modell nur auf Rang elf. Vogel weiter: „Es besteht ein unglaublicher Druck im Moment in der Branche, um die Wettbewerbsfähigkeit, die chinesische Autos ausspielen, wieder aufzuholen.“ Der Schwerpunkt für die Fahrzeugnutzer – hin zu Software-Konnektivität – habe sich verändert. „Das WLAN im Auto ist vielleicht heute wichtiger für eine große Kundengruppe als der Super-Fahrkomfort.“ Nach Auffassung von Kristin Oder kommt der betrieblichen Interessenvertretung hier eine Schlüsselrolle zu. „Mitbestimmung heißt nicht nur: Daumen hoch oder Daumen runter. Oftmals sind wir die Ideengeber und auch die Treiber von Innovation.“
Grundsätzlich auf einem guten Weg
ifo-Forscher Ragnitz sieht das Autoland Sachsen grundsätzlich auf einem guten Weg. „Man muss auf mittlere Sicht schauen. Da ist gerade Sachsens Automobilindustrie, die schon jetzt sehr stark auf Elektromobilität setzt, relativ gut aufgestellt.“ Nach der Delle werde sie sich „berappeln“. Ragnitz geht davon aus, dass ein Teil der Zulieferer die Produktion anpassen werde; ein anderer Teil könne von Markt verschwinden. AMZ-Manager Dirk Vogel empfiehlt den Zulieferbetrieben, noch intensiver mit den Forschungseinrichtungen im Freistaat zusammenzuarbeiten.
Verändertes Nutzerverhalten – Chance für neue Geschäftsmodelle
Wirtschaftsminister Dulig macht deutlich, dass Sachsen ein Industrie- und Mobilitätsland bleibt und möglichst viele Akteure durch den Wandel mitnehmen möchte. „Es werden auch in Zukunft Fahrzeuge benötigt, auch wenn es einen Kulturwandel gibt und der Besitz eines Autos vielleicht nicht mehr im Vordergrund steht. Durch die Veränderung hin zur Elektromobilität und des Nutzungsverhaltens entwickeln sich ganz neue Geschäftsmodelle, weil zum Beispiel die Mobilität als Dienstleistung eine ganz andere Rolle spielt. Dies können wir mit dem Know-how, das wir in Deutschland und Sachsen haben, lösen.“