Um es gleich vorwegzunehmen: Auf diese Frage gab es auch beim Industriedialog Neue Mobilität Sachsen keine eindeutige Antwort. Diese hatten die rund 170 Teilnehmer sicher auch nicht erwartet, die Ende August zur Veranstaltung ins BMW-Werk Leipzig gekommen waren. Unter dem Leitgedanken „Vernetzte, automatisierte Mobilität: Spurwechsel in Richtung Vertrauen und Alltagstauglichkeit oder Zukunftsmusik?“ skizzierten die Referenten Chancen und Herausforderungen der Transformation. Sie stellten Entwicklungen und Trends heraus und gewährten Einblicke zum Stand der Umsetzung in der Automobilproduktion.
Eine wichtige Voraussetzung für Transformation abseits konkreter technischer Aufgabenstellungen schwang dabei in vielen Vorträgen und Statements mit. Es geht vor allem darum, mit welcher Haltung wir Herausforderungen anpacken. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig forderte, nicht in das „Niedergangsgerede“ einzustimmen, ohne dabei die aktuellen Probleme zu ignorieren. Sachsen habe schon oft bewiesen, dass es mit der Besinnung auf eigene Stärken grundlegende Veränderungen meistern kann.
Wer kann vom Kuchen profitieren?
Dazu dürfe man nicht auf Rezepte der Vergangenheit bauen, betonte Prof. Dr. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM). Das funktioniere, solange die Welt sich langsam wandelt. Deutschland müsse mindestens um so viel besser, schneller und kreativer sein als es teurer ist. Das gilt für viele Bereiche, auch für die hiesige Automobilindustrie.
In seinem Vortrag stellte er die Chancen und Herausforderungen der Transformation hin zum vernetzten und autonomen Fahren in den Mittelpunkt. Auf diesen Feldern hat es die Autoindustrie seit ihrem Bestehen erstmals mit Wettbewerbern zu tun, die größer sind als sie. Diese offerieren mittels Digitalisierung völlig neue Services für die Kunden. Mit den verschiedenen Angeboten für vernetztes und automatisiertes Fahren ließen sich zukünftig 200 Milliarden Euro im Jahr realisieren. Die Frage ist, so Bratzel, wer von diesem Kuchen profitiert. Bis vor zwei Jahren konnte die deutsche Autoindustrie ihre Innovationsführerschaft in der Branche behaupten. 2022 wurde sie erstmals von China überflügelt. Gebraucht werden neue Kompetenzen, so in Software, Sensorik, Elektrik/Elektronik. Der Kostenanteil dieser Bauteile im Fahrzeug steige bis 2030 auf 50 Prozent. Das biete Chancen für Zulieferer. Ebenso sind neue Kooperationsmuster notwendig – vom hierarchischen Top-down-Management zu horizontaler Zusammenarbeit.
Auf den Weg machen und Wertschöpfung holen
Die Veränderungen in den Wertschöpfungsketten thematisierte auch Udo Wehner, Strukturwandelmanager beim sächsischen Automobilzuliefernetzwerk AMZ. Er zeigte den Wandel von der klassischen Pyramide hin zum Wertschöpfungsnetzwerk auf. Dabei nehmen die Verflechtungen zwischen Automotive und IT zu. Zulieferer aus den Bereichen Elektronik, Software und Energiespeicher gewinnen an Einfluss. Für Sensorik werden z. B. mechanische, elektronische und IT-Komponenten gebraucht. Hier sieht AMZ Chancen, solche Themen in der Region zu platzieren und Wertschöpfung nach Sachsen zu holen. Dafür müssen wir uns auf den Weg machen, so Wehner. Das Netzwerk bietet dafür Unterstützung.
Transformationsnetze sollen Wandel begleiten
Die Veränderungsprozesse in der Automobilbranche sollen ebenso insgesamt 27 vom Bund geförderte Transformationsnetzwerke voranbringen. ACOD-Geschäftsführer Dr. Jens Katzek stellte das Netzwerk für die Region Leipzig namens MoLeWa vor, das u. a. Schwerpunkte auf CO2-Neutralität und Kreislaufwirtschaft legt. In Sachsen gibt es mit ITAS ein weiteres Transformationsnetzwerk, welches den Wandel in der Zulieferregion Südwestsachsen begleitet. Schade, dass dieser Verbund keine Bühne erhielt. Es hätte dem Dialog- und Vernetzungscharakter der Veranstaltung entsprochen.
Automatisierte Shuttle-Fahrzeuge vor Ort
Das Treffen bot auch den Raum, automatisierte Shuttle-Fahrzeuge zu besichtigen. Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) stellten das „ABSOLUT“-Shuttle vor. Die IAV brachte das „FLASH“-Shuttle und eine weitere Eigenentwicklung mit. Beide Aussteller präsentierten das Potenzial ihrer Technologien und zeigten, wie sie Verkehrsangebote im städtischen und ländlichen Raum ergänzen können.
Das automatisierte Fahren als eine der relevantesten Aufgabenstellungen für die Zukunft automobiler Mobilität betonte Petra Peterhänsel, Leiterin des BMW-Werkes Leipzig. Aktuell hat BMW bereits rund 40 Fahrerassistenz-Funktionen auf der Straße. „Neu ist, dass wir die Intelligenz unserer Fahrzeuge jetzt auch in der Produktion nutzen. Unsere Automobile werden sich künftig eigenständig innerhalb des Werks bewegen und sich dabei sogar selbständig kalibrieren und in Betrieb nehmen”, gab sie einen Ausblick.
Den bereits 4. Industriedialog organisierte erneut die bei der SAENA angesiedelte Kompetenzstelle Effiziente Mobilität Sachsen im Auftrag des sächsischen Wirtschaftsministeriums.