In drei Jahrzehnten hat sich das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU zu einem Leitinstitut für ressourceneffiziente Produktion entwickelt. Mit Wegbegleitern und Partnern blickte die erste Fraunhofer-Einrichtung Ostdeutschlands auf das Geschaffene zurück. Mehr noch nahm das IWU-Team den Festakt Ende September zum Anlass, aus dem Blickwinkel der Produktion verstärkt Nachhaltigkeitsaspekte zu betrachten.
Besser machen und nicht nur besser wissen
Der geschäftsführende Institutsleiter Prof. Dr. Welf-Guntram Drossel benannte die Herstellung von Regenerationsfähigkeit als eine generelle Triebkraft des Handelns. Lösungen für die Zukunft dürften nicht einengen. Das erleben wir alle gerade im Energiesektor. Für das IWU konkretisierte er: „Wir dürfen für uns in Anspruch nehmen, in drei Dekaden IWU viele Entwicklungen in der Produktionstechnik mitgeprägt zu haben. Der Markt verändert sich und wir müssen entsprechend darauf reagieren. Heute erwarten unsere Partner schneller konkrete Ergebnisse mit einem hohen Reifegrad. Anders gesagt: es geht darum, die Dinge besser zu machen, statt nur besser zu wissen.“
Den Reigen der zahlreichen Gratulanten eröffnete der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Prof. Dr. Reimund Neugebauer. Ihn verbindet eine besondere Beziehung zum IWU. Er hat das Institut mitgegründet und über zwei Jahrzehnte maßgeblich dessen Entwicklung zur Spitzenforschungseinrichtung für ressourceneffiziente Produktion geprägt. Zu weiteren Gratulanten gehörten der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der VW-Vorstand Dr. Christian Vollmer sowie der ehemalige Audi-Vorstand und heutige Kuratoriumsvorsitzende des IWU, Prof. Hubert Waltl.
Im inhaltlichen Teil des Festakts standen vier Forschungs-Pitches mit starken Bezügen zu ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit auf der Agenda. Gerade im effizienten Umgang mit Ressourcen verschmelzen diese Ausprägungen von Nachhaltigkeit mit der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
Bezahlbare und saubere Energie
Dieser Pitch gab einen Ausblick auf die klimaneutrale Fabrik der Zukunft, in der für Energieversorgung und -management Wasserstofftechnologien und der intelligente Einsatz von Energiespeichern eine tragende Rolle spielen. Die konsequente Nutzung von Einsparpotenzialen, maßgeschneiderte Speichertechnologien und -strategien sowie eine verstärkte Nutzung lokal erzeugter regenerativer Energien senken die Energiekosten eines Unternehmens beträchtlich.
Industrie und Innovation
Dieser Pitch verdeutlichte, dass eine Volkswirtschaft nachhaltig wettbewerbsfähig bleibt, wenn sie auch kurzfristig auftretende Herausforderungen meistern kann, also resilient ist. Beispielsweise sind in jüngster Zeit zu Absatzschwankungen und Produktwechseln zusätzliche Herausforderungen durch die erheblichen Kostensteigerungen bei der Energie gekommen. Resilienz erfordert in hohem Maße Agilität und Wandlungsfähigkeit eines Produktionssystems mit allen Teilkomponenten in Hard- und Software. Erst durch die menschliche Innovationskraft lässt sie sich vollständig ausgeschöpfen. Dieses Zusammenwirken des Menschen mit komplexen cyber-physischen Produktionssystemen ist der Schlüssel zur Standortsicherung für das heimische produzierende Gewerbe.
Gesundheit und Wohlbefinden
Eine nachhaltige Medizintechnik steht vor vielen Herausforderungen. Heute sind weit mehr als die Hälfte aller Medizinprodukte Einwegprodukte, mit noch immer steigendem Kunststoffanteil. Ein Design-for-Recycling-Ansatz könnte helfen, Einweg-Rohstoffe in den Werkstoffkreislauf zurückzuführen. Wenn Hersteller, Krankenhäuser, Ärzte und Recyclingunternehmen an einem Strang ziehen, sind Produkte und Prozesse im Sinne einer Kreislaufwirtschaft anpassbar – ohne zusätzliche Arbeitsbelastung in Krankenhäusern und Arztpraxen. Das Fraunhofer IWU kann hier seine Expertise einbringen: Produkte leichter zerlegbar machen, eindeutig kennzeichnen, Herstellungskompetenz beispielsweise in Spritzguss und 3D-Druck. Auch für die Entlastung von Pflegenden und ärztlichem Personal zeigt das Fraunhofer IWU neue Lösungswege auf: mit Robotik, die für menschennahe Tätigkeiten geeignet ist und durch die Entwicklung neuer Technologien für die Point-of-Care-Diagnostik.
Nachhaltige Produktion
Adaptive Prozessketten und innovative Produktionsverfahren leisten einen wichtigen Beitrag für eine fehlerfreie Produktion. Sie erlauben, noch im Fertigungsprozess (inline) Qualität und Performanz eines Produktes vorherzusagen und zu optimieren. Prozessübergreifende Regelungsstrukturen und Prozessmodellierung passen Produktionsprozesse permanent in kurzen Regelschleifen an – und ermöglichen so auch einen neuen Hub bei der Kreislauffähigkeit von Produkten. Biokompatible Materialien und lösbare Verbindungen lassen sich in adapative Fertigungsprozesse integrieren; eine vollständige Produktionstransparenz dank Digitalisierung erleichtert Wiederverwendung, Zerlegung oder Recycling der Produkte. Das Screw Extrusion Additive Manufacturing Verfahren (SEAM) erlaubt den Druck von Formwerkzeugen aus recycelter Kohlenstofffaser oder Biopolymeren. Für kurzlebige Produkte sind biologische Werkstoffe künftig erste Wahl und weisen den Weg in eine CO2-neutrale industrielle Fertigung.
Wie wird Forschung wertschöpfend?
Für ein auf den Transfer in Unternehmen und Geschäftsmodelle fokussiertes wissenschaftliches Institut ist dies eine Kernfrage. Christoph Zimmer-Conrad vom sächsischen Wirtschaftsministerium, Oliver Köhn vom VDMA, Oliver Georgi und Prof. Drossel vom IWU vertieften diese Frage in einem Podiumsgespräch. Das geschah aus der Perspektive der Mittelstandsförderung, der Wirtschaft und einer bevorstehenden Ausgründung (VibroCut). Die Bedarfe der Wirtschaft und die Breite der am IWU verfolgten Forschungsthemen zeigten, wie wichtig Branchen- und Technologieoffenheit seien, so Christoph Zimmer-Conrad. Erst durch den Transfer in die Unternehmen habe Forschung praktische Relevanz. Prof. Drossel verdeutlichte am Beispiel des SEAM-Projektes im Bereich 3D-Druck den Mehrwert anwendungsorientierter Forschung auch für kleinere und mittlere Unternehmen. Für viele Betriebe sei gerade das letzte Stück Weges bis zur Industrialisierung entscheidend für den Erfolg einer Innovation, unterstrich Oliver Köhn. Oliver Georgi wies auf die Herausforderungen bei der Unternehmensgründung hin. Das AHEAD-Programm der Fraunhofer-Gesellschaft oder die EXIST-Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums böten maßgeschneiderte Unterstützungsleistungen für Spin-Offs und Start-Ups.
Das Fraunhofer IWU in Zahlen und Fakten
Das Institut startete 1991 am Standort Chemnitz mit 37 Mitarbeitenden. Heute ist es mit 670 Mitarbeitenden neben Chemnitz in Dresden, Leipzig, Wolfsburg und Zittau aktiv. Es erschließt Potenziale für die wettbewerbsfähige Fertigung im Automobil- und Maschinenbau, der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik, der Elektrotechnik sowie der Feinwerk- und Mikrotechnik. Im Fokus von Wissenschaft und Auftragsforschung stehen Bauteile, Verfahren und Prozesse sowie die zugehörigen komplexen Maschinensysteme und das Zusammenspiel mit dem Menschen – die ganze Fabrik.
Das Fraunhofer IWU setzt auf eine hochflexible, skalierbare und von der Natur lernende, kognitive Produktion. Es entwickelt Technologien und intelligente Produktionsanlagen und optimiert umformende, spanende und fügende Fertigungsschritte. Die Entwicklung innovativer Leichtbaustrukturen und Technologien zur Verarbeitung neuer Werkstoffe, die Funktionsübertragung in Baugruppen sowie neueste Technologien der generativen Fertigung (3D-Druck) sind ebenfalls Kernbestandteile des Leistungsportfolios. Damit die Energiewende gelingen kann, zeigt das Institut Lösungsräume für die Großserienfertigung wesentlicher Wasserstoffsysteme auf.