Der Strukturwandel in der Automobilindustrie ist in vollem Gange. Wie das Autoland Sachsen in diesem durch Absatz- und Coronakrise zugespitzten Umwälzungsprozess bestehen kann, war Thema des Regionaldialogs zur Transformation in der Branche am 10. September 2020 in Chemnitz. Das vom sächsischen Zuliefernetzwerk AMZ organisierte Format nutzten rund 70 Unternehmensvertreter, um mit dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig ihre Sichtweisen, Sorgen und bisherigen Erfahrungen zu diskutieren.
Die Zahlen sprechen für sich: 2025 wird jeder vierte in Europa produzierte Pkw ein Elektroauto sein. Davon wiederum wird die Hälfte an deutschen OEM-Standorten produziert. Das sind die Hauptergebnisse einer Studie des Chemnitz Automotive Institute CATI und der Zuliefernetzwerke AMZ Sachsen sowie automotive thüringen at. Mit diesen konkreten Daten liegt erstmals eine fundierte Vorschau auf Standortentwicklungen und Produktionsvolumina in Europa vor. Bisher wurde der Hochlauf der E-Mobilität rückblickend an Zulassungszahlen gemessen.
Der auf 25 Prozent anwachsende Produktionsanteil an vollelektrischen Pkw ergibt im Umkehrschluss, dass auf absehbare Zeit drei Viertel der Fahrzeuge einen Verbrennungsmotor haben werden. Dieser Fakt sowie die auf den Straßen noch nicht erlebbare E-Mobilität und viele Fragezeichen in punkto Ladeinfrastruktur wiegen Zulieferer jedoch in einer trügerischen Sicherheit und halten die Skepsis bezüglich radikalem Transformationsprozess hoch. Das war in der Diskussion allenthalben zu spüren.
Sowohl der Wirtschaftsminister als auch Prof. Dr. Werner Olle von CATI und AMZ-Netzwerkmanager Dirk Vogel stellten klar, dass die Trendwende zur E-Mobilität entschieden ist. Minister Dulig unterstrich, dass keine Kraft mehr in Diskussionen zum Für und Wider von E-Autos verschwendet werden soll, sondern vielmehr darauf, die unweigerlich kommenden Veränderungen positiv zu gestalten. Zur Wahrheit gehöre, dass es neben Gewinnern auch Verlierer geben werde und dieser Prozess Arbeitsplätze kosten wird, wurde der Minister ungewohnt deutlich. Er versprach, dass der Freistaat Sachsen diesen radikalen Umbruch mit seinen Mitteln und Möglichkeiten unterstützen werde – und das technologieoffen. Insgesamt sei er zuversichtlich, dass die sächsische Wirtschaft mehr von den Chancen profitieren, als unter den Risiken leiden werde. Der Wandel dürfe nicht auf die Antriebstechnik reduziert werden. Neue Mobilität brauche vor allem auch Kompetenzen in der Sensorik, der entsprechenden Hard- und Softwareentwicklung. Hier habe Sachsen viel zu bieten. Gleiches trifft auf das Thema Wasserstoff und Brennstoffzelle zu.
Die Nachhaltigkeit der im Gang befindlichen Trendwende betonte auch Dirk Vogel. In einem stagnierenden bzw. rückläufigen europäischen Gesamtmarkt wächst der Anteil von E-Fahrzeugen. Das bedeute zwangsläufig weniger Verbrenner. Die sächsischen Zulieferer, die hauptsächlich für den deutschen und weiteren europäischen Markt arbeiten, müssen sich auf diese Situation jetzt einstellen.
Wie diese mit der aktuellen Mehrfach-Herausforderung Strukturwandel, Absatz- und Corona-Krise kämpfen, skizzierten u. a. Udo Schleif vom kanadischen Linamar-Konzern, der in Sachsen drei Werke hat, und Daniel Meyer, Inhaber des mittelständischen Teileherstellers Drehtechnik Meyer. Beide repräsentieren Unternehmen, die aktuell in die klassische Verbrennertechnik liefern. Schleif informierte über den generellen Trend, dass OEM ihr Insourcing verstärken, um eigene Arbeitsplätze zu sichern. Für ihn ist auch der Blick über Deutschland hinaus wichtig, da hiesige Produktion zum Großteil nach außen gehe. Es gelte, die Ziele für die verschiedenen Märkte zu synchronisieren. Daniel Meyer berichtete, dass etwa 70 Prozent seiner Fertigung für den klassischen Antriebsstrang bestimmt ist und momentan nur etwa zwei Prozent für E-Fahrzeuge. Beide kritisierten, dass in Deutschland jetzt zwar Technologieoffenheit gefördert, doch nur für E-Fahrzeuge subventioniert werden. Die Dynamik, mit der der deutsche Staat die E-Mobilität vorantreibe, korrespondiere nicht mit der Zeit, die es braucht, Lieferketten neu aufzustellen.
Auch weitere, zum Teil schon seit Jahren angemahnte Forderungen erneuerten die Unternehmen gegenüber dem Wirtschaftsminister. Damit der Wandel gelingt, brauche man u. a. flexiblere Arbeitszeitmodelle, die seitens der deutschen Gesetzgebung aber verhindert werden. Udo Schleif, der auch Linamar-Standorte in Frankreich und Ungarn leitet, zeigte auf, dass andere europäische Länder hier deutlich flexibler agieren. Ebenso gehören die Abschaffung wettbewerbsverzerrender Energiekosten sowie die Gestaltung eines innovationsfreundlicheren Umfelds dazu.
Dass das Thema Wandel auch gänzlich anders entschieden werden kann, machte Dr. Jens Trepte vom Chemnitzer Ingenieurunternehmen imk automotive deutlich. Nach 25 Jahren intensiver Arbeit für die Automobilindustrie werde er sich auf andere Branchen konzentrieren.