Anfang Juni 2020 hat die Bundesregierung die seit Monaten erwartete Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. In Ergänzung zu bisherigen Förderprogrammen werden dafür Finanzmittel von sieben Milliarden Euro für die Umsetzung im Inland sowie zwei Milliarden Euro für internationale Projekte bereitgestellt. Wasserstofftechnologien sollen sich zu einem zentralen Geschäftsfeld der deutschen Exportwirtschaft entwickeln und zur Dekarbonisierung von Schlüsselbranchen beitragen. Neben der Stahl- und der Chemieindustrie spielt in dem 38 Maßnahmen umfassenden Aktionsplan auch der Verkehrssektor eine wichtige Rolle.
Für Professor Thomas von Unwerth, Leiter des Instituts für Automobilforschung an der TU Chemnitz und Vorstandsvorsitzender des HZwo e. V., sind das ausgesprochen gute Nachrichten, die dem wasserstoffgespeisten Brennstoffzellenantrieb Rückenwind geben: „Die Nationale Wasserstoffstrategie setzt die richtigen Impulse für Technologieoffenheit, für das Miteinander CO2-reduzierender Antriebskonzepte wie batterie- und brennstoffzellenbetriebene Elektromobilität. Auf lange Sicht muss der Wasserstoff auf eine grüne Art und Weise erzeugt werden. Für die Markteinführung wird jedoch auch die Herstellung auf Erdgas- bzw. Methanbasis, der sogenannte graue, blaue oder türkise Wasserstoff, notwendig sein. Man darf hier nicht allein auf grünen Wasserstoff setzen. Das wäre genauso schlecht wie die einseitige Konzentration auf die batterieelektrische Mobilität.“
Brennstoffzellen-Anwendungen konkret in der Strategie verankert
Professor von Unwerth und die weiteren Akteure im sächsischen Innovationscluster für Brennstoffzellen und Wasserstoff HZwo freuen sich besonders, dass in der Strategie die verschiedenen Anwender explizit bedacht worden sind. Festgeschrieben für den Verkehrssektor ist der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Zulieferindustrie für Brennstoffzellensysteme sowie die Schaffung einer industriellen Basis für eine großskalige Brennstoffzellen-Stack-Produktion für Fahrzeuganwendungen. „Wir sind nicht müde geworden, immer wieder darauf zu drängen, dass die Brennstoffzelle konkret in der Strategie verankert wird. Sachsen hat in diesem Bereich einiges zu bieten und kann
eine Wertschöpfungskette für komplette Brennstoffzellensysteme aufbauen“, ist der Experte für alternative Antriebe überzeugt.
Über Potenziale aufklären
Für die Herstellung der notwendigen Halbzeuge, Komponenten und Teilsysteme sind in den sächsischen Schlüsselbranchen der Zuliefer- und Fahrzeugindustrie, des Maschinen- und Werkzeugbaus sowie der Sensorik und Elektronik zahlreiche Kompetenzen vorhanden. „Nicht jedem ist bewusst, dass er sein Leistungsspektrum in der Metall- oder Kunststoffbearbeitung, in der Textil- oder Beschichtungstechnik auch für die Fertigung von Brennstoffzellensystemen nutzen kann. Deshalb zeigen wir die Potenziale auf, die Unternehmen vor dem Hintergrund des automobilen Strukturwandels neues Geschäft ermöglichen“, betont Karl Lötsch, Geschäftsführer des HZwo e. V. Diese Aufklärungsarbeit geschieht aktuell ganz konkret und kompakt in einer Broschüre und unter
www.hzwo.eu/wissen.
Geschäfts-Chancen aufzeigen
In Nicht-Corona-Zeiten werden vor allem in Technologieworkshops und Seminaren geschäftliche Chancen vorgestellt und potenzielle Partner zusammengebracht. „Auf diese Weise neue Wertschöpfungsnetzwerke zu schaffen, haben wir auf unsere Fahnen geschrieben“, so Karl Lötsch. Das funktioniert bereits, denn Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten in verschiedenen Projekten an neuen Produkten und Verfahren. Einen Schwerpunkt bildet die Technologieentwicklung für eine effiziente Großserienproduktion von Komponenten und Modulen. Kompetenzträger für die Produktionstechnik ist der HZwo-Partner Fraunhofer IWU.
Der Markt ist jetzt da
Im Blick haben die sächsischen Experten im ersten Schritt nicht unbedingt den Pkw, sondern Anwendungen in Nutzfahrzeugen, Bussen, Zügen, Schiffen oder im stationären Bereich. „Die Brennstoffzellentechnologie ist enorm skalierbar – vom Einzelsystem für das Auto bis zur Kraftwerksgröße“, umreißt Professor von Unwerth die Spanne. „Vor allem im Nahverkehr ist der Markt jetzt da“, ergänzt Karl Lötsch und verweist auf die Clean-Vehicle-Richtlinie der EU. Sie schreibt vor, dass ab 2025 bei allen neu abgeschlossenen öffentlichen Aufträgen mindestens 45 Prozent der Busse alternative Antriebe besitzen. Ab 2030 gilt eine Quote von 65 Prozent. Um diesen und kommende Märkte zu bedienen, braucht es neben Technologie nicht zuletzt Kapital für den Fertigungsaufbau. Hier sehen die Fachleute auch den Freistaat Sachsen in der Pflicht, um das Thema voranzutreiben. „Anderswo drückt man deutlich auf die Tube“, so Professor von Unwerth. Für mehr Tempo in diesem Prozess soll u. a. die Netzwerkkonferenz „HZwo Connect“ beitragen, die am 15. Oktober 2020 unter dem Motto „Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Dialog“ in das neue Chemnitzer Carlowitz Congresscenter einlädt.