Mit dem Inverkehrbringen eines Produktes enden die Pflichten des Herstellers nicht: Vielmehr ist der Hersteller zur Beobachtung seiner Produkte verpflichtet, um möglichen Gefahren, die von seinen Erzeugnissen ausgehen, begegnen zu können. Gemäß den Vorgaben der Rechtsprechung richtet sich der Umfang der Produktbeobachtungspflichten dabei nach der Zumutbarkeit der Beobachtungsmaßnahmen. Die zunehmende Digitalisierung, gerade auch in der Automobilbranche, bringt hier vielfältige neue Möglichkeiten, aber auch Pflichten mit sich. Hieraus ergeben sich für die OEM´s selbst, aber auch die weiteren Akteure in der Lieferkette neue Anforderung zur Produktbeobachtung.
In der bisherigen „analogen Welt“ galt für die Automobilindustrie wie auch für die meisten anderen Branchen, dass der Hersteller Informationen über seine Produkte nur als Folge der üblichen Inspektionszyklen oder aber im Falle konkreter Schadensereignisse – sprich Unfälle – erhielt. Es war dem Hersteller technisch schlicht nicht möglich, zeitnah weitere Informationen aus den einzelnen Fahrzeugen zu erlangen. Bildlich gesprochen: Die Ölkontrollleuchte war nicht mit dem Hersteller verbunden.
In der neuen digitalen Welt rückt der Hersteller deutlich näher an sein Fahrzeug
In der neuen „digitalen Welt“ stellt sich die Situation anders dar: Der Hersteller – und oftmals auch die mit ihm zusammenarbeitenden Zulieferer – erlangt aufgrund der Vernetzung des Fahrzeugs mit Informationszentralen der Unternehmen zahlreiche Fahrzeugdaten in Echtzeit. Dies reicht von Informationen über die Bremsanlage bis hin zu Umgebungsinformationen, die das Fahrzeug betreffen. Die Erhebung der Daten erfolgt dabei oftmals nicht zum Zwecke der Überwachung des Fahrzeugs auf mögliche von diesem ausgehende Gefahren. Sie ist vielmehr ein „Nebenprodukt“ anderer Dienstleistungen des Herstellers. So bieten Automobilhersteller zum Beispiel Warnhinweise bei gefährlichen Straßenbedingungen an, wobei sich aus den hierzu erhobenen Daten auch Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit sicherheitsrelevanter Systeme, wie der Bremsanlage, ziehen lassen.
Die Zumutbarkeitsschwelle verschiebt sich zu Lasten der Hersteller und Zulieferer
Durch die Nutzung der vernetzten Technologien ist es den Herstellern nun mit deutlich weniger Aufwand möglich, zeitnah sicherheitsrelevante Informationen zu erlangen und sodann auszuwerten. Dies ist aus rechtlicher Sicht der entscheidende Umstand, weshalb zukünftig auch höhere Anforderung an die Pflicht zur Produktbeobachtung anzunehmen sind. Der Hersteller rückt näher an sein Fahrzeug heran und fährt quasi mit wachsamem Auge auf dem Beifahrersitz mit. Die genauen Anforderungen hängen von der technischen Ausgestaltung im Einzelfall ab. Nichts anderes gilt für den Zulieferer, sofern er ebenfalls Zugriff auf die fraglichen Informationen hat.
Aktuelles Beispiel aus der Praxis: via Cloud verbundene Fahrzeugakkus
Ein weiteres Beispiel aus der Praxis sind neuartige Fahrzeugakkus, welche herstellerseitig für einen optimalen Ladevorgang mit einem Clouddienst verbunden sind. Dies geschieht durch die ständige Übermittlung von Echtzeitdaten aus den Akkus an den Hersteller, der diese auswertet, um so Ladevorgänge zu optimieren und die Lebensdauer der Akkus zu verlängern. Aber auch bei solchen Lösungen wird für den Hersteller des Akkus und den Fahrzeughersteller, letzterer ist für das Gesamtprodukt „Fahrzeug“ verantwortlich, von der Rechtsprechung verlangt, dass software-gestützte Prüfungen hinterlegt werden, um die erhaltenen Daten ebenfalls auf Sicherheitsrisiken zu überwachen. Dies gilt etwa für Anzeichen im Hinblick auf ein drohendes Entflammen bzw. Explodieren eines Akkus.
Als Fazit ist somit festzuhalten: Aus Sicht der OEM`s und Zulieferer, soweit diese ebenfalls Zugriff auf die Echtzeitdaten haben, sinkt die Zumutbarkeitsschwelle, sodass gesteigerte Anforderungen zur Produktbeobachtung bei vernetzten Fahrzeugen und Zubehör einzuhalten sind.