Die Elektromobilität ist ins Rollen gekommen. In einigen Regionen der Welt rollt sie schneller als in anderen. Welcher Wandel erwächst daraus für die Zulieferer? Wie müssen und können sie sich diesem Veränderungsprozess in der mobilen Wertschöpfungskette stellen? Diese Fragen diskutierten zum Teil sehr kontrovers die Teilnehmer des Fachdialogs „Das Elektroauto und die Zulieferindustrie – Herausforderungen und Chancen“, zu dem der Automotive Cluster Ostdeutschland ACOD mit dem Bundesverband eMobilität e. V. und der Strategiewerkstatt Industrie der Zukunft am 13. März 2018 in das BMW-Werk Leipzig eingeladen hatte.
Die deutsche Wirklichkeit in Sachen E-Mobilität zeigte sich bereits bei der Suche nach einem Parkplatz vor dem Veranstaltungsort. Während die in die Hunderte gehenden „normalen“ Parkplätze voll belegt waren, nicht zuletzt wegen des großen Feldes der rund 200 Teilnehmer, boten die etwa 20 mit Ladesäulen ausgestatteten Flächen noch ausreichend Platz.
Nichtsdestotrotz sind E-Fahrzeuge weiter im Kommen. Dazu tragen die in Sachsen produzierenden Automobilhersteller bei. BMW hat das Leipziger Werk seit 2011 zum Kompetenzzentrum für E-Fahrzeuge ausgebaut und produziert in diesem Bereich zurzeit die elektrisch angetriebenen i3- und i8-Modelle sowie den 2er Active Tourer als Plug-in-Hybrid, wie Werkleiter Hans-Peter Kemser in seiner Begrüßung berichtete. Volkswagen fertigt in Dresden den e-Golf und baut das Werk in Zwickau zum ersten Konzernstandort um, der auf der Basis des Modularen Elektro-Baukastens ab 2020 E-Fahrzeuge für mehrere Marken des Konzerns fertigen wird. Über die damit verbundenen Herausforderungen hinsichtlich Fertigungsprozess und -technologie, Aus- und Weiterbildung, wachsende Internationalisierung sowie Zusammenarbeit mit den Zulieferern sprach Prof. Dr. Siegfried Fiebig, Sprecher der Geschäftsführung von VW Sachsen.
Weniger Autos in Summe, dafür Wachstum bei Neufahrzeugen
Wie sich Quantität und Geschwindigkeit auf dem Markt für E-Fahrzeuge global und lokal entwickeln werden, dazu versuchten die Referenten des zweiten Themenblocks schlüssige Antworten zu geben. Unstrittig ist, dass China und weitere asiatische Regionen das Wachstum weiter treiben werden, nicht zuletzt bedingt durch einen akuten Handlungsbedarf beim Klimaschutz. In China sind nach einer Studie des Zentrums für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg bereits jetzt mehr als ein Drittel der weltweit zugelassenen 3,2 Millionen E-Autos unterwegs. Dr. Marcel Kappel von der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH verwies auf den generellen Wandel im Mobilitätsverhalten, bei dem nicht mehr der Besitz eines Fahrzeugs an erster Stelle stehen werde. Christoph Stürmer von PricewaterhouseCoopers (PwC) verdeutlichte, dass der Automobilmarkt in rund einem Jahrzehnt nach völlig anderen Regeln funktionieren werde als heute. In der PwC-Studie „eascy – Die fünf Dimensionen der automobilen Transformation“ wird ausgeführt, dass der Fahrzeugbestand in Europa bis 2030 um 80 Millionen auf 200 Millionen Autos sinken kann und trotzdem die Zahl der Neuzulassungen um gut ein Drittel pro Jahr auf mehr als 24 Millionen steigt. Von Bedeutung ist dabei der erwartete Durchbruch preiswerter Sharing-Konzepte. Das elektrische Fahren und zukünftig das autonome Fahren tragen ebenfalls dazu bei, dass nicht mehr der Besitz eines Autos, sondern die gefahrenen Kilometer zum entscheidenden Kriterium werde. Damit verringere sich der Gesamtfahrzeugbestand, gleichzeitig erfolge bei einem überproportionalen Anteil von Fahrzeugen ein deutlich schnellerer Umschlag, was zu einem exponentiellen Wachstum auf dem Neufahrzeugmarkt führe.
Zulieferer brauchen Planungssicherheit
Für Zulieferer ist dieser prognostizierte Umbruch mit schwierigen, zum Teil existenziellen Entscheidungen verbunden. In den Medien hören die Unternehmer die Visionen der Vorstände und CEO, vor Ort in den Verhandlungen mit den Einkäufern liegen andere Themen auf dem Tisch. Sollen sie das angestammte Teilesortiment weiter hochfahren oder umsatteln? Die Firmen, gerade im KMU-Bereich, brauchen Planungssicherheit. Sie können nicht einfach von heute auf morgen alles umstellen, betonte Marius Baader vom Verband der Automobilindustrie VDA und ermunterte die Mittelständler, den Dialog zu suchen und mit Partnern Lösungen zu erarbeiten.
Kurt Sigl vom Bundesverband eMobilität (BEM) sieht die Politik in der Pflicht, verlässliche rechtliche und infrastrukturelle Rahmenbedingungen für einen Durchbruch der Elektromobilität in Deutschland zu schaffen. Bei Förderprojekten plädierte er dafür, wirtschaftlicher zu denken und vor allem Kommunen, Mittelständler und Startups mit den notwendigen Geldern auszustatten.
In der Diskussion sowohl auf dem Podium als auch aus dem Publikum wurde deutlich, dass bei den tiefgreifenden Transformationsprozessen in der Autoindustrie vor allem Flexibilität und Geschwindigkeit zählt. Das müsse mit Blick auf den Drive in China oder Singapur zuerst in den Köpfen beginnen und zu neuen Arbeitsweisen führen, in denen Ideen ausgelebt werden können, betonte Stefan Brandlhuber aus dem Bereich Einkauf/QTM alternative Antriebe von BMW. Zulieferer der zweiten und dritten Reihe haben es hierbei nicht einfach, denn sie sehen sich im Geschäftsalltag vor allem mit dem Preisdruck der OEM konfrontiert, so eine mit Beifall aufgenommene Wortmeldung aus dem Publikum. Dem könne mit Projekten, die alle Seiten nach vorn bringen, begegnet werden, erwiderte Brandlhuber. Gerd Rupp, Geschäftsführer von Porsche Leipzig, verwies darauf, dass sich die konventionellen Antriebe auch weiterentwickeln und die E-Mobilität für Zulieferer die Chance biete, sich Zusatzgeschäft aufzubauen.
Die Vorteile eines gut aufgestellten First-Tiers zeigte Dr. Dirk Brinkmann von Bosch auf. Zulieferer können das Innovationsrad schneller drehen als OEM, so Brinkmann und demonstrierte die Behauptung an der von Bosch entwickelten E-Achse, die in hoher Varianz und Skalierbarkeit beitrage, E-Mobilität für einen Massenmarkt anzubieten. Standardisierung sei hierzu der Schlüssel.
Der Wandel gelingt nur mit den Menschen
In der abschließenden Podiumsdiskussion kamen Zulieferer zu Wort, die den Wandel bereits leben. Bewusst hatte der ACOD dafür Unternehmen aus dem Bereich Antriebsstrang ausgewählt, dem Segment, den Analysten bei der Mobilitätswende am meisten bedroht sehen. Erich Jürgens vom Aluminium-Komponenten-Hersteller Trimet mit Gießereien in Harzgerode und Sömmerda berichtete über den Weg in die Internationalität durch das Zusammengehen mit einem chinesischen Partner. Dr. Jürgen Bohn vom Druckgusshersteller DGH mit Standorten in Heidenau und Hof zeigte auf, dass sich das Unternehmen mittels Investitionen so flexibel aufgestellt hat, um sowohl für den Verbrenner- als auch für den E-Antriebsbereich zu arbeiten. Rene Windszus vom Schaeffler-Werk Luckenwalde betonte den Faktor Mensch in Veränderungsprozessen. Die Mitarbeiter müssen erkennen, dass sie Teil der Lösung und nicht des Problems sind. Thomas Müller von Continental Automotive verwies auf den Wandlungsprozess, in den aktuell die Mitarbeiter im Werk Limbach-Oberfrohna einbezogen sind, einem Standort, der Dieseleinspritzkomponenten fertigt. Mit einem Horizont von ca. fünf Jahren wird an der Vision für die Zukunft gearbeitet. Andreas Hager von Engineering-Dienstleiste in-tech informierte über die vor zwei Jahren erfolgte Neuorganisation und die Ausrichtung auf Zukunftsthemen, die ständig gelebt werde. Die E-Mobilität sei dabei der Anfang einer kompletten Mobilitätswende.
Hans-Peter-Kemser, der sich neben seinem Beruf als Werkleiter ehrenamtlich als ACOD-Vorstandsvorsitzender engagiert, unterstrich in seinem Schlusswort die Notwendigkeit, die geistige Handbremse im Kopf zu lösen. Veranstaltungen wie der Fachdialog helfen, noch tiefer in die Zukunftsthemen einzudringen und über das Miteinander-Reden Anstöße für gemeinsame Lösungen zu bekommen, die im Netzwerk realisiert werden können.