Unter dem Motto „Wohin die Reise geht!“ diskutierten auf dem 10. ACOD-Kongress und aBB-Branchentag am 6. September 2017 rund 200 Vertreter der automobilen Wertschöpfungskette zur Mobilität der Zukunft.
Das Ausrufezeichen hinter dem Tagungsmotto hatten die Veranstalter Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD) und automotive BerlinBrandenburg (aBB) bewusst gesetzt, denn trotz vieler Unwägbarkeiten haben Unternehmen der Branche klare Antworten, wie sie den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen und stellten diese auf dem Jubiläumskongress vor.
Prof. Dr. Siegfried Fiebig, Sprecher der Geschäftsführung der Volkswagen Sachsen GmbH, konnte den Umbruch in der Automobilindustrie dem Publikum am Tagungsort Gläserne Manufaktur Dresden live demonstrieren. Wo vor einiger Zeit noch die Luxuslimousine Phaeton produziert wurde, werden heute elektrisch angetriebene Golf gefertigt. An einem weiteren sächsischen VW-Standort, in Zwickau, laufen derzeit die Vorbereitungen für die Produktion auf Basis des ersten modularen E-Baukastens bei VW. 600 bis 800 E-Fahrzeuge sollen in Zukunft täglich auch für andere Marken des Konzerns vom Band rollen. Damit verbunden ist die Umschulung von rund 4000 Mitarbeitern. VW plant darüber hinaus den Aufbau einer E-Akademie in der Gläsernen Manufaktur für den Servicebereich. Die Forcierung der Elektromobilität sowie von hybriden Lösungen bzw. Gasantrieb, die ebenfalls zum Portfolio von Volkswagen Sachsen gehören, bedeutet keine Abkehr vom verbrennungsmotorischen Antrieb. Dieser werde noch mehr als 20 Jahre existent sein. Ohne Diesel gibt es keine Langstreckenmobilität, stellte Fiebig klar.
Moderner Diesel gehört zu Antriebsmix der Zukunft
Keinen Zweifel am modernen Diesel als Teil eines zukunftsfähigen nachhaltigen Antriebsmixes ließ VDA-Geschäftsführer Klaus Bräunig. Gravierende Fehler in einzelnen Unternehmen rechtfertigen kein Pauschalurteil über eine leistungsfähige Branche und deren mehr als 800.000 Mitarbeiter in Deutschland, ebenso wenig einen Abgesang der Dieseltechnologie. Mit der von deutschen Herstellern angebotenen Nachrüstung von fünf Millionen Diesel-Pkw sei eine Stickoxidreduktion von 25 bis 30 Prozent verbunden. Die geforderte Hardware-Nachrüstung bringe keine schnellere Lösung. Dafür seien u. a. aufwändige Typgenehmigungen nötig.
Dass deutsche Hersteller technologieoffen und international Vorreiter für Elektromobilität sind, zeigt ein Blick auf aktuelle Statistiken. So beträgt der Anteil an E-Autos deutscher Marken in Ländern wie Norwegen, Schweden oder den Niederlanden über 50 Prozent. Für Europa wird bis 2025 ein Anteil von 15 bis 25 Prozent elektrisch angetriebener Pkw an den Neuzulassungen prognostiziert. Im Umkehrschluss bedeutet das immer noch 75 Prozent Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren.
Fakten statt Fake
Wie Zulieferer den Wandel durch neue Formen der Zusammenarbeit gestalten, zeigte Horst Binnig, Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall Automotive AG, auf. Das Unternehmen hat ein sogenanntes Neo-Team mit fünf Mitarbeitern aus den eigenen Reihen formiert, die aus unterschiedlichen Bereichen und Standorten weltweit kommen und jährlich neu besetzt werden. Sie hinterfragen bisher bewährte Denk- und Vorgehensweisen, aber auch postulierte Meinungen und setzen somit neue Strategieimpulse. Damit entgehe man der Gefahr von Fehlentscheidungen auf der Basis von Paradigmen. So konnten sie die Behauptungen entkräften, dass es nicht genügend Lithium für die Batterieherstellung gebe oder dass China nicht genügend Strom für E-Mobilität aufbringen könne. Mit der Tätigkeit der internen Quer- und Vordenker kommen Fakten statt Fake auf den Tisch. Sie sind ein Katalysator für notwendige Veränderungen, lautet eine Erfahrung nach zwei Jahren.
Das Querdenken dominierte auch in weiteren Vorträgen. Stephan Schindler vom Virtual Reality Berlin-Brandenburg e. V. stellte vor, wie die Autoindustrie von Werkzeugen der Virtual-, Augmented- und Mixed-Reality profitieren kann. Norbert Hübner von der ESA zeigte Verbindungen zwischen Raumfahrtanwendungen und Automobilindustrie auf. Die digitale Transformation nicht nur privat anzunehmen, sondern als Mittelständler aktiv zu betreiben und vom Nutzer her zu denken, um so neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, war eine Botschaft von Martin Talmeier, Leiter Mittelstand 4.0 des Hasso-Plattner-Instituts.
Wie das Öffnen für neue Herausforderungen zu neuen Geschäftsfeldern führt, wurde in den Workshops der Ernst & Young Start-up-Initiative zu Technikthemen der Zukunft deutlich. Das Unternehmen Flamm Syscomp Hennigsdorf hat aus den Erfahrungen der Hausgeräteindustrie ein Temperierungssystem für Batterien in E-Autos entwickelt. thyssenkrupp System Engineering baut in Sachsen seit acht Jahren das neue Feld Produktionstechnik für die Herstellung von E-Auto-Batteriesystemen auf und kann bislang auf 14 realisierte Anlagen-Projekte weltweit verweisen. Ingenics Hamburg verknüpft die effiziente Linienfertigung mit der flexiblen Inselmontage zum innovativen Konzept der Schwarmmontage. Am Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme Dresden nutzen Wissenschaftler Big-Data-Verfahren in der Batteriealterungsauswertung bei E-Nutzfahrzeugen und können somit ein Fernüberwachungssystem anbieten, dessen Daten eine Wartungsplanung ebenso ermöglichen wie das Erstellen von bisher fehlenden Leasingmodellen. Ein attraktives Umfeld für Mobilitäts-Innovationen bietet die Gläserne Manufaktur mit ihrem Start-up-Inkubator, in dem junge Firmen in 200 Tagen eine Idee zur Marktreife führen sollen. Derzeit arbeiten sechs Teams an ihren Konzepten.
Neben der Elektromobilität widmeten sich weitere Workshops den Themen Virtual Reality + Autonomes Fahren sowie Innenraumkonzepten der Zukunft.
Bei aller Technik spielt der menschliche Faktor weiterhin die Hauptrolle im automobilen Transformationsprozess. Die Auswirkungen von Arbeit 4.0 sowie die Herausforderungen der Unternehmensnachfolge im Kontext der Veränderungen in der Branche bestimmten die Podiumsgespräche des Kongresses. Dazu konnte u. a. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig begrüßt werden.