Das gesamte Automotive-Ecosystem braucht einen Investitionsschub, um Wettbewerbsnachteile der Branche in Deutschland auszugleichen. Ein Programm, mit dem gezielt in Innovationssprünge investiert wird, sieht das Automobilzuliefernetzwerk AMZ als eine Lösung für den aktuellen Investitionsstau. Über diese und weitere Herausforderungen werden sich Branchenvertreter zum Automotive Forum Zwickau (AFZ) am 5. und 6. November 2024 austauschen. AMZ richtet das Forum in Kooperation mit der IHK Chemnitz aus. Themen, die die Branche bewegen, standen auf der Tagesordnung der Pressekonferenz im Vorfeld des AFZ.
„Die Unternehmen in der automobilen Wertschöpfungskette stehen mächtig unter Druck. Sie kämpfen mit hohen Energie-, Personal- und Bürokratiekosten im Vergleich zu internationalen Wettbewerbern und sie haben aufgrund stark schwankender Märkte und unzuverlässiger politischer Rahmenbedingungen keine Planungssicherheit. Hinzu kommt bei den Zulieferern in unserer Region, dass ihr Fokus auf der Fertigung von Teilen, Komponenten und Systemen liegt und nicht auf der Produktentwicklung und Forschung“, umreißt AMZ-Netzwerkmanager Andreas Wächtler die aktuelle Lage. Er betont: „Die Hauptaufgabe der nächsten Monate und Jahre ist es, diese Wettbewerbsnachteile zu kompensieren, sonst wandert die Brache schleichend ab. Wir sind davon überzeugt, dass zielgerichtete Investitionen in Innovationssprünge die Wettbewerbsnachteile ausgleichen können. Innovative Fertigungstechnologien, Automatisierungen in der Produktion und in der Logistik sowie Energietechnologie sollten im Mittelpunkt stehen. Wichtig ist, dass die Umsetzung gesamtsystemisch erfolgt und nicht singulär in einem Unternehmen. Das gesamte Automotive-Ecosystem braucht einen Investitionsschub.“
Allein in der Automobilregion Südwestsachsen betrifft dieses Thema mehr als 550 Industrieunternehmen mit über 60.000 Mitarbeitern, haben die Akteure im Transformationsprojekt ITAS eruiert. Zum Vergleich: In den Braunkohlerevieren Lausitz und Mitteldeutschland sind rund 10.000 Menschen in der Kohleförderung bzw. in Kraftwerken beschäftigt. Für den Transformationsprozess in den sächsischen Teilen der Reviere stehen ca. zehn Milliarden Euro zur Verfügung.
Sachsen zum Benchmark für schnelle, digitale und transparente Verwaltung machen
AMZ-Netzwerkmanager Dirk Vogel verweist auf einen weiteren Aspekt, dessen Umsetzung nicht nur für die Automobilwirtschaft, sondern für die gesamte sächsische Industrie Vorteile bringt. „Die Wirtschaftspolitik ist gefordert, mit dem Entwicklungstempo der Wirtschaft Schritt zu halten. Warum kann Sachsen nicht Benchmark für Verwaltungsentscheidungen sein, digitaler, transparenter, schneller? Dies hilft allen Unternehmen und reduziert zugleich Aufwand und Personalbedarf auch in der Verwaltung“, so Dirk Vogel. Der AMZ-Netzwerkmanager hat noch einen Vorschlag für eine wettbewerbsunterstützende Ausrichtung sächsischer Förderpolitik: „Wir haben in der bisherigen Transformation gesehen, dass insbesondere reine Produktionsstandorte gefährdet sind, abzuwandern. Die Wirtschaftspolitik sollte deshalb in den kommenden Jahren besonders Unternehmen unterstützen, die sich zusammenschließen, wachsen und in Sachsen eigene Headquarter mit Entwicklungsabteilung aufbauen. Damit wird das Ecosystem attraktiver für die Forschung und nachhaltiger.“
FES: Serienreifer Brennstoffzellen-Lkw verfügbar – Bedarf ist da, Rahmenbedingungen für positive Marktentwicklungen fehlen
Mit zielgerichteten Investitionen in Innovationen hat sich die FES GmbH Fahrzeug-Entwicklung Sachsen in mehr als 30 Jahren als gefragter Entwicklungspartner in der Automobilindustrie etabliert. Ihre jüngste Innovation präsentiert das rund 850 Mitarbeiter starke Unternehmen auf dem Automotive Forum Zwickau – einen serienreifen wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen-Lkw. FES bereitet mit Partnern ebenso die Fertigung des 18-Tonners vor und plant erste Auslieferungen 2025. Darüber hinaus arbeiten die Ingenieure bereits an höheren Gewichtsklassen.
„Unsere Neuentwicklung ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines emissionsfreien Güterverkehrs. Wir sind davon überzeugt, dass es für eine erfolgreiche Mobilitätswende einen Mix alternativer Antriebsarten braucht. Wasserstoff gehört aus unserer Sicht dazu. Er bietet gerade für den Güterverkehr eine echte Alternative zum Verbrennungsmotor und ist der Batterie auf der Langstrecke überlegen. Besonders stolz sind wir, dass wir dieses innovative Projekt komplett aus Eigenmitteln ohne staatliche Förderung umsetzen konnten“, sagt FES-Geschäftsführer Christian Schwamberger.
Die Zwickauer Fahrzeugexperten entwickeln und fertigen schon seit rund einem Jahrzehnt sowohl batterie- als auch brennstoffzellen-betriebene Fahrzeuge, darunter Brennstoffzellensysteme für Intralogistikfahrzeuge, die sich bereits im Serieneinsatz befinden. Auch für den Brennstoffzellen-Lkw gibt es viele Nachfragen. „Der Bedarf ist da. Der Markt braucht jedoch einen Anstoß, damit er sich entwickeln kann. Hier muss die Politik liefern, beispielsweise mit einer verlässlichen Förderung der Anschaffung sowie dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur“, betont der FES-Chef.
Chancen sieht er bei der Komponentenfertigung für Brennstoffzellen-Systeme für regionale Zulieferer, beispielsweise für Tanksysteme. Darüber hinaus wünscht er sich, dass sich die Wasserstoff-Akteure in der Region gemeinsam noch stärker für die Errichtung von Wasserstoff-Tankstellen engagieren.
WP Holding: Investitionen in Energietechnologien und Batterierecycling
Nachhaltige Mobilität ist auch ein Kernthema der WP Holding GmbH. Transport und Logistik für Kunden europaweit sind das Hauptgeschäft des auf über 1.000 Mitarbeiter gewachsenen Unternehmens mit Sitz in Zwickau. Neue erfolgversprechende Geschäftsfelder erschließt sich die Firmengruppe mit Batteriespeichertechnologien sowie dem Recycling von Lithium-Ionen-Batterien. WP hat dafür kürzlich eine automatisierte Recyclinganlage in Betrieb genommen. „Gerade für die Zweitnutzung von Batterien in Großspeichern sowie für das Batterierecycling investieren wir viel in Forschung und Entwicklung und arbeiten mit lokalen mittelständischen Partnern zusammen. Neben dem hohen Engagement unserer Belegschaft sind das wesentliche Faktoren für ein erfolgreiches Wirtschaften“, betont Geschäftsführerin Doreen Paesold-Runge.
Was diese Entwicklung jedoch hemmt, sind realitätsfremde Rahmenbedingungen. „Wir brauchen endlich einen Bürokratieabbau. Es gibt Regelungen, deren Sinn sich nicht erschließt. Jedoch bindet deren Umsetzung wertvolle Ressourcen, die an anderen Stellen besser genutzt werden könnten bzw. ganz fehlen. Oft führt das zu enormen Overhead-Kosten, die wir nicht adäquat an den Kunden weitergeben können. Zudem werden strenge Nachhaltigkeitsvorschriften ad absurdum geführt, wenn das Unternehmen zwar das umweltfreundlichste Produkt anbietet, der Kunde dann aber in erster Linie nach Preis entscheidet“, so die Geschäftsführerin.
Transformation zur nachhaltigen Mobilität ist kein Selbstläufer
Dass die Transformation zur nachhaltigen Mobilität kein Selbstläufer ist, zeigt sich aktuell am schleppenden Absatz und demzufolge an nicht ausgelasteten Automobilbaufabriken. Ein Brennpunkt ist das VW-Werk in Zwickau. „Der Transformationsprozess erfordert Mut. Die sächsischen VW-Werker und ihre Partner haben ihn bewiesen und die Fabrik in Zwickau zum ersten reinen E-Mobilitätswerk umgebaut. Jetzt gibt es erste Rückschläge. Das heißt nicht zurückzurudern, sondern vielmehr die Chancen zu suchen und zu nutzen, um weiter vorn mitzuspielen. Sachsen besitzt 120 Jahre Erfahrung im Automobilbau und hat schon viele Veränderungen gemeistert. Das ist Ansporn, um die Industrieregion weiter zu stärken und ihre Leistungskraft noch deutlicher nach außen zu zeigen. Das Automotive Forum Zwickau ist eine gute Plattform dafür“, sagt Christian Sommer, Leiter der Unternehmenskommunikation bei der Volkswagen Sachsen GmbH.
Mit Masterplan Südwestsachsen zentrale Leitmärkte stärken
Kooperationspartner des Automotive Forums Zwickau ist die IHK Chemnitz. Die Automobilwirtschaft verkörpert einen Hauptwirtschaftszweig im Kammerbezirk. In der gesamten Wertschöpfungskette Automotive inklusive der vor- und nachgelagerten Bereiche wie Produktionsplanung, Handel oder Service sind in Südwestsachsen rund 135.000 Beschäftigte tätig. Das ist jeder vierte in der Region. Allerdings sieht sich laut aktueller IHK-Konjunkturumfrage weniger als die Hälfte der Industrieunternehmen im Bereich Automobil gut für die aktuellen Herausforderungen aufgestellt. Als Grund nennen sie vor allem die Kostenachteile im Vergleich mit anderen Standorten.
„Hier ist politische Unterstützung nötig, um effizienter und kostengünstiger produzieren zu können. Für die Industrieregion Chemnitz braucht es darüber hinaus im Rahmen eines Masterplans Südwestsachsen eine Stärkung der zentralen Leitmärkte Mobilität, Materialien und Ressourcen sowie Automatisierung und Informations- und Kommunikationstechnik durch Neuansiedelungen, Wissenstransfer von Hochschulen und Investitionsunterstützung. Zentral ist zudem, dass wir das ‚Silicon Elbtal‘ nach Westen durch die ‚Silicon Alley‘ entlang der Bundesautobahn 4 denken. Für die Zulieferer der Chipfabriken brauchen wir schnell adäquate Industrieflächen entlang der A4“, betont Martin Witschaß, Geschäftsführer Standortpolitik der IHK Chemnitz.
Automotive Forum Zwickau mit Programm am Puls der Branche
Der Austausch zu erfolgversprechenden Strategien angesichts herausfordernder Markt- und Technologieveränderungen steht im Mittelpunkt des Automotive Forums Zwickau. Mit einer Vorschau auf die Zukunft der Mobilität und auf die Kreislaufwirtschaft der Automobilbranche eröffnen der Zukunftsforscher Kai Gondlach sowie der Wissenschaftler und Unternehmer Prof. Dr. Günther Schuh das Forum am 5. November im August-Horch-Museum Zwickau. Es folgt eine Rückschau auf 120 Jahre Automobilbau in Zwickau und den daraus resultierenden Geist, sich immer wieder neu zu erfinden. Höhepunkt ist die Verleihung des August-Horch-Ehrenpreises für Verdienste um den sächsischen Automobilbau.
Fachforen und Aussteller-Workshops dominieren das Programm am 6. November. Themen sind „Markt und Branche“, „Wettbewerbsfähige Produktion“ sowie „Chancen in neuen Produkten“. Dazu sprechen u. a. Experten von Mercedes-Benz, Volkswagen, CATL, Yanfeng, FES, IAV und dem VDA. Um Digitalisierung, Fachkräfteentwicklung, Nachhaltigkeit und Innovation sowie Potenziale der Wasserstoff-Wertschöpfungskette geht es in den Workshops.
Das ausführliche Programm des Automotive Forums Zwickau ist hier zu finden.