Die Welt wandelt sich rasant. Märkte und Machtverhältnisse verschieben sich. Kriege, Krisen, Klimawandel forcieren diese Entwicklungen. Was muss eine von der Automobilindustrie geprägte Industrieregion tun, um sich in diesem komplexen Prozess zukunftsfest zu machen? Antworten darauf wollen die Akteure von ITAS – der Initiative Transformation Automobilregion Südwestsachsen – geben. Vorträge und Diskussionen zum 2. ITAS-Kongress Anfang Juni 2024 zeigten: Es ist noch viel zu tun. Vor allem braucht es mehr Tempo und mehr Miteinander.
Die Automobilregion Südwestsachsen muss sich wie viele andere Automobilregionen damit auseinandersetzen, dass Europa nicht mehr der Nabel der Weltautoproduktion ist. Dieser befindet sich in Asien – mit einem Anteil von 70 Prozent. Außerdem fährt das Auto nicht nur zunehmend elektrisch, es wird zum Elektronikprodukt, von Software bestimmt. Auch die Fertigung erfordert neue Grade von Automatisierung und Digitalisierung, skizzierte Andreas Wächtler vom Zuliefernetzwerk AMZ zukünftige Entwicklungen. Um den Wandel mitzugestalten, müssen die Zulieferer mit Innovationen punkten, verdeutlichte er in der Diskussion. Sich immer wieder neu erfinden, damit fährt die Region Chemnitz-Zwickau seit 120 Jahren gut.
„Regio-Score“ auf Grün schieben
Damit das weiterhin gelingt, muss sich der „Regio-Score“ von Rot in Grün wandeln. Das unterstrich Dr. Cornelius Plaul von IMREG Dresden. Das Institut für Mittelstands- und Regionalentwicklung hat mittels 82 Indikatoren einen Strukturwandelindex für Südwestsachsen erstellt. Wenig überraschend: Die Region ist wirtschaftlich eher am unteren Rand angesiedelt, strukturell schwächer als der Bundesdurchschnitt. Das liege jedoch nicht an der Wertschöpfung durch die Beschäftigten, denn diese sei gut, so ein Teilnehmer in der Diskussion. Vielmehr sorge der Status „verlängerte Werkbank“ dafür, dass Gewinne und damit Steuergelder nicht in der Region bleiben.
Desaströs ist laut Dr. Plaul, dass Südwestsachsen nach wie vor vom modernen Schienenverkehr abgekoppelt ist. Der Arbeitsmarkt weise eine geringe Qualifikationsbreite auf. Das Gros ist im Facharbeiterbereich angesiedelt. Besorgniserregend sei die mit 9,9 Prozent höchste Schulabbrecherquote im Bund. Beachten müsse man hier jedoch, dass Sachsen strengere Maßstäbe anlege als die anderen Bundesländer. Mit spezifischen Angeboten für Unternehmer, Beschäftigte, Politik und Verwaltung sowie die Bevölkerung insgesamt will ITAS den „Regio-Score“ auf Grün schieben.
ITAS-Team der IHK Chemnitz: Die KMU im Blick
Die kleinen und mittleren Industrieunternehmen im Blick hat das ITAS-Team der IHK Chemnitz. Mit niederschwelligen Angeboten wie Helpdesks und Sprechstunden sowie Strategie-Coachings unterstützt es KMU im Transformationsprozess, berichtete Patrick Korn. Laut dem ITAS-Projektleiter der IHK Chemnitz lassen sich durch eine tiefgreifende Analyse der regionalen Wertschöpfungsketten Ansätze für zukünftiges Geschäft finden. Das Unternehmen LennardtundBirner führt diese Analyse in Kombination mit detaillierten Unternehmergesprächen aktuell durch. Konkrete Ergebnisse gibt es in einem Workshop am 10. September 2024. Zum ITAS-Kongress zeigte Dr. Thomas Birner bereits Zukunftsfelder u. a. bei nachhaltigen Materialien, Recycling/Kreislaufwirtschaft sowie Additiver Fertigung auf.
Brücken bauen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
Potenzial für wettbewerbsfähige Produkte und Services bietet eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft. In dem an Hochschul- und Forschungseinrichtungen reichen Landkreis Mittelsachsen gibt es viele Schnittstellen. Die ITAS-Akteure untersuchen, welche Voraussetzungen es braucht, damit das Matching zwischen Industrie und Wissenschaft gelingt. Dazu sprach Dr. Cindy Krause, Geschäftsführerin der Regionalkammer Mittelsachsen der IHK Chemnitz. Sie stellte das ITAS-Projekt „Brücken bauen – Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“ vor.
Mobilitätskonzepte über Landkreisgrenzen hinaus
Für Unternehmen und deren Beschäftigte entscheidet nicht zuletzt die Infrastruktur über die Attraktivität eines Standorts. Wie automatisiertes Fahren beitragen kann, den ÖPNV in der Region zu verbessern, ist ein weiteres ITAS-Thema der IHK Chemnitz. Gemeinsam mit dem Partner AMZ treibt sie es vor allem auf politischer Ebene voran. In Policy Labs diskutieren dazu Automobilexperten mit Landes-, Regional- und Kommunalpolitikern Anforderungen und Umsetzungswege für neue Mobilitätskonzepte. Wichtig sei, wegzukommen von Pilotprojekten und automatisierte Mobilität auf die Straße zu bringen, sagte Udo Wehner, Strukturwandelmanager bei AMZ. ITAS trage bei, die Komplexität aufzulösen und Kommunen zum Handeln zu befähigen. Dabei müsse über Landkreisgrenzen hinausgedacht werden. Das nächste Policy Lab findet am 10. September 2024 statt.
Verfügbarkeit von Wasserstoff wird zum Standortfaktor
Ein zukünftiger Standortfaktor für die Industrie in Südwestsachsen ist die Verfügbarkeit von Wasserstoff. Hier engagiert sich die IHK Chemnitz, um eine bedarfsgerechte Anbindung der Region an das Netz zu erreichen. Aktuell läuft eine detaillierte Abfrage bei den Unternehmen, wie Martin Witschaß, Geschäftsführer Standortpolitik, berichtete.
Gezielt Investoren für die Region gewinnen
Wichtig sei, Unternehmer und potenzielle Investoren gezielt anzusprechen und nicht „nur“ Fachkräfte. Das betonte Anton Schumann von Gherzi Germany. Der Textil-Unternehmer zeigte Potenziale der regionalen Textilindustrie für den Mobilitätsbereich auf. Den „Green Deal“ der EU bezeichnete er als Chance für die Region. Angesichts der Umsetzung von Arbeitnehmerbelangen forderte er, dass Mitarbeiter dann auch bereit sein müssen, den dafür notwendigen Mehrwert zu erbringen.
Sich Veränderungen stellen und nicht verdrängen
Wie Transformationslotsen den Umbau in Betrieben begleiten, stellten Vertreter des ITAS-Akteurs IG Metall exemplarisch am GKN-Werk Zwickau dar. Fakt ist: Der Standort mit rund 800 Mitarbeitern wird geschlossen, die Produktion nach Ungarn verlagert. Kann angesichts der „ferngesteuerten“ Unternehmensführung überhaupt Einfluss auf solche Prozesse genommen werden? Thomas Knabel von der IG Metall Zwickau und GKN-Betriebsrätin Petra Seifert zeigten auf, was Belegschaft und Gewerkschaft dennoch erreichen konnten. Streiks führten zu Absicherungen mittels Sozialtarifvertrag, angemessenen Abfindungen bei Kündigung und Einrichtung einer Transfergesellschaft. Zudem entwickeln sie Konzepte für die Investorensuche, um mit den vorhandenen Kompetenzen andere Produktfelder zu erschließen. Es habe früh Anzeichen für die Verlagerung gegeben, aber wir haben zu spät agiert, bekennt die Betriebsrätin. Verdrängen und beharren hilft nicht in solchen Situationen. Wir müssen uns Veränderungen stellen, so Thomas Knabel. Das sagt er ausdrücklich auch mit Blick auf die diskutierte Verschiebung des Verbrenner-Verbots in der EU.
Mehr Biss, mehr Bereitschaft zur Leistung
Bildung ist ein entscheidender Hebel im Transformationsprozess. Fachleute vom VW Bildungsinstitut, von ATB und vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung stellten zukunftsträchtige Qualifizierungsangebote vor. Jugendvertreter sprachen sich dafür aus, ihre Ausbildung aktiver mitgestalten zu dürfen. Für ihre Generation sei eine sinnstiftende Arbeit wichtig.
Prof. Tobias Teich von der Westsächsischen Hochschule Zwickau zeigte an Beispielen, wie sich mit KI-unterstütztem Lernen Entwicklungsgeschwindigkeit aufbauen lässt. Diese brauchen wir dringend auf dem Weg zur All Electric Society, betonte er. Denn bis ca. 2040 müsse die Transformation vom fossilen Zeitalter zur elektrifizierten Gesellschaft abgeschlossen sein. Er unterstrich: Mit aktuellen Regularien stehen wir uns bei der dafür benötigten Geschwindigkeit im Weg. Wir brauchen jedoch Tempo, um vieles besser zu machen. Wir brauchen mehr Biss, mehr Bereitschaft zu Anstrengung und Leistung, damit wir unseren Wohlstand halten. Demokratie dürfe Prozesse nicht verlangsamen.
Gemeinsam lauter für die Region sprechen
Die Äußerung zu Demokratie und Tempo verstanden einige Teilnehmer wohl falsch, wie die Diskussion zeigte. Dabei ging es keinesfalls um eine Absage an die Demokratie, sondern vielmehr darum, Mitbestimmung und Geschwindigkeit zu vereinbaren. Ebenso sprachen sich die Teilnehmer dafür aus, mehr miteinander statt nebeneinander zu arbeiten. Es gelte, größer zu denken und sich lauter, als das bisher geschehe, für die Region einzusetzen. Es brauche mehr Mut, um visionäre Ideen anzupacken. Und auch das Scheitern müsse erlaubt sein. Das ITAS-Konsortium unter Führung der CWE und den Partnern AMZ, Arbeitsagentur, IG Metall und IHK hat viel zu tun bekommen. Damit den Worten auch mit dem gebotenen Tempo Taten folgen.
Weitere Informationen für Unternehmer zu diesen Themen sowie zu entsprechenden Veranstaltungen sind in Kürze auf dieser Website verfügbar.