Zugpferd Unternehmer

Zugpferd Unternehmer
Sie diskutierten zum Thema Unternehmertum: Prof. Dr. Detlev Müller/IMM-Gruppe, Dr. Thomas Birner/LennardtundBirner, Carmen Ahnert/CPT Präzionstechnik, die Moderatoren Ramona Nagel und Thomas Schindler, Niels Gehrmann/SAB und Michael Heidan/ReViSalt (v. l.). Foto: Schmidtfoto Chemnitz
29.05.2024 | Redaktion Autoland

Niedrige Insolvenzzahlen als Alarmsignal für Gründerklima

Zum Auftakt der Kampagne am 21. Mai 2024 sprach ein Insolvenzverwalter. Ausgerechnet ein Insolvenzverwalter? Ja, denn Scheitern gehört zum Unternehmertum dazu und ist kein Stigma. Dr. Daniel Bergner, Geschäftsführer des VID – Verband Insolvenzverwalter Deutschlands, verneinte eine aktuelle Pleitewelle – auch, wenn es sich anders anfühle. Man erlebe einen „Normalisierungsprozess“. Die verhältnismäßig niedrigen Insolvenzzahlen bereiten ihm viel mehr Sorge. Sie seien ein Indiz für eine geringe Neugründungstätigkeit. Deutschland habe momentan die größte Zahl an Beschäftigten nach dem 2. Weltkrieg, die meisten Arbeitsstunden, aber die wenigsten Gründer. Ist Unternehmertum hierzulande out, zu verzerrt dargestellt, fragte er und gab auch gleich Antworten. In der öffentlichen Wahrnehmung seien die Risiken zu sehr betont, ist das regulatorische Umfeld zu erdrückend.

August Horch – nach Misserfolgen immer wieder aufgestanden

Auch für August Horch, der den Grundstein für die Automobilregion Südwestsachsen legte, gehörte das Scheitern zum Unternehmeralltag. Nach Misserfolgen in Köln und im vogtländischen Reichenbach kam er nach Zwickau. Wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen führten dazu, dass er in der Muldestadt 1904 die Horch & Cie. Motorenwerke gründete. Nach Zerwürfnissen im Management flog er 1909 aus seinem eigenen Unternehmen. Er machte weiter und gründete Audi. In der Region entwickelte sich eine kompetente Automobilindustrie einschließlich Zulieferer. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in den 1930er Jahren. Ebenfalls aus Notlagen heraus schufen Unternehmer 1932 die Auto Union. Aus einer Krise, einer Transformation heraus wuchs sie zum damals zweitgrößten Automobilhersteller Deutschlands.

Krisen als Chancen begreifen

Unternehmer aus der Region von heute verweisen auf ähnliche Entwicklungen, wie die Podiumsdiskussionen zum Auftakt der „RE Union“ zeigten. Neue und/oder schwierige Situationen als Chancen zu begreifen, ist eine Erfahrung, die hilft, erfolgversprechende Entscheidungen zu treffen. Viele Firmeninhaber in Südwestsachsen haben ihre Unternehmen in den 1990er Wendejahren bzw. Anfang der 2000er Jahre gegründet.

Der unbedingte Wille, etwas zu bewirken

„Wir waren vor 34 Jahren zum Überleben verdammt. Wir hatten die Neugier und den unbedingten Willen, etwas zu bewirken“, beschreibt Geschäftsführerin Carmen Ahnert die Gründungszeit der CPT Präzisionstechnik GmbH Chemnitz. Aus dem Automobilbereich mit restriktiven Preisverhandlungen habe man sich relativ zeitig verabschiedet. Heute fertigt die 86 Mitarbeiter zählende CPT u. a. für Sensorik, für die Medizintechnik und die Luftfahrt. Was seit Anbeginn eine Konstante bildet, ist die Konzentration auf Forschung und Entwicklung, auf die Zusammenarbeit mit der hiesigen Hochschullandschaft.

Auch die IMK – The Intelligence Consortium Chemnitz setzt nicht mehr ausschließlich auf die Automobilindustrie als Kunden. Gründer und Geschäftsführer Dr. Jens Trepte ist seit 30 Jahren eng mit der Branche verbunden. Die IMK gibt es seit 22 Jahren. Das Unternehmen hat sich einen Namen als Engineering-, Planungs- und Softwareexperte in der weltweiten Automobilfertigung gemacht. Jetzt nutzt die Gruppe ihre Kompetenzen zunehmend im Wachstumsfeld Medizintechnik. „Warum nicht mal etwas Anderes machen“, sagt Dr. Trepte in der Diskussion und verweist auf Impulse aus Netzwerken.

Neues Geschäft aus der Transformation

Die WP Holding Zwickau bleibt zwar weitestgehend in ihrem angestammten Geschäft der Automobillogistik. Doch sie erschließt sich aus der in der Branche stattfindenden Transformation neue Felder, wie Geschäftsführerin Doreen Pasold-Runge berichtet. Zum einen baut WP aus gebrauchten Lithium-Ionen-Batterien stationäre Energiespeicher. Zum anderen recycelt das Unternehmen nicht mehr verwendbare Batterien und führt Wertstoffe zurück in den Kreislauf. „Wir nehmen mit den neuen Feldern Fahrt auf, sind raus aus den Kinderschuhen“, so die Geschäftsführerin.

Aufbruchstimmung der Wendezeit fehlt

Die seit 20 Jahren existierende IndiKar GmbH Wilkau-Haßlau konnte sich mit ihren Kompetenzen im Sonderfahrzeugbau etwas vom klassischen Automobilbau abkoppeln. Insbesondere der Sonderschutzbereich floriert, berichtet Ronald Gerschewski. Der Geschäftsführer ist zugleich geschäftsführender Gesellschafter der Welp Group, u. a. mit einem Standort in Rumänien. „Der Standort in Rumänien unterliegt genauso der Transformation wie die deutschen Standorte. Dort erleben wir eine Aufbruchstimmung, so wie sie bei uns Mitte der 1990er Jahre herrschte. Das Unternehmertum wird dort hochgeachtet. Das vermisse ich hier“, betont Ronald Gerschewski.

Noch weiter in den Osten ist Dr. Dieter Braun gegangen. Der Geschäftsführer der B&B Sachsenelektronik Mittweida mit ca. 20 Mitarbeitern produziert seit mehr als 20 Jahren Leiterplatten in China. „Für uns war das der richtige Weg, die einzige Möglichkeit zu überleben. Ein Unternehmen kann sich nur in dem Biotop bewegen, das ihm die Politik zur Verfügung stellt“, sagt er.

Das Umfeld zu Partnern machen

Aus der Hochschule Mittweida heraus hat Prof. Detlev Müller seit 1991 die heutige IMM-Gruppe aufgebaut. Für den Inhaber des Elektronik- und Medientechnik-Unternehmens war es immer wichtig, seine Konkurrenten, sein Umfeld zu Partnern zu machen. Das alles trägt auch bei, die Nachfolge gut zu regeln.

Wir müssen uns mit der Transformation arrangieren

Dieses Thema treibt auch Jens Hertwig um. Nicht für sein Unternehmen, die N+P Informationssysteme GmbH Meerane, sondern generell. Er habe in der Gründungsphase in den 1990er Jahren erfahrene Mentoren an seiner Seite gehabt. Diese Unterstützung braucht es auch jetzt, wenn Zehntausende Unternehmen Nachfolger suchen. „Geld allein bringt nichts“, ist seine Überzeugung. Wirtschafts- und Technologiepolitik brauchen eine sinnvolle Verknüpfung, sagt er u. a. mit Blick auf die Förderpolitik. N+P hat als Software-Systempartner viel mit dem Thema Veränderungsbereitschaft zu tun. „Mit Software allein kann man eine schlechte Organisation nicht verbessern. Wer jetzt nicht seine Hausaufgaben macht, für den wird es schwer. Wir müssen uns mit der Transformation arrangieren.“ Das heißt für ihn auch, mehr miteinander als übereinander zu reden.

Gesundes Risikobewusstsein als wichtiger Baustein

Erfahrener Manager und junger Gründer – das ist Michael Heidan in einer Person. Die ReViSalt GmbH Freiberg gibt es seit knapp zwei Jahren. Mit ihr will er nicht weniger als „den Glasmarkt weltweit revolutionieren“. Es geht, kurz gesagt, um die Verfestigung von Glas binnen Minuten statt Stunden, u. a. für automobile Anwendungen. Bis 2019 hat er als Ingenieur in der Autoindustrie Projekte vorangebracht. Für ihn ist Gründen vor allem eines: Kopfsache. Ein erfahrenes Team für das Start-up, ein gesundes Risikobewusstsein und ein gründerfreundliches Förderumfeld sind wichtige Bausteine. Im Vergleich mit anderen Bundesländern findet er die Förderbedingungen in Sachsen sehr positiv. Mit Institutionen wie SAB, Technologie-Gründerfonds und Mittelständische Beteiligungsgesellschaft gebe es gute Strukturen für Start-ups.

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